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Vergleich  Veening - Middendorf - Glaser

[Westliche Atemlehren] [Atembehandlung] [Bewegungsarbeit] [Arbeit mit dem Laut]

Die von Cornelis Veening entwickelte Atemmeditation und Atembehandlung und die von seiner Schülerin Ilse Middendorf modifizierte Atemerfahrung verlangen, sich auf die Atembewegung zusammeln. Ihr Bemühen lenkt auf ein Ziel hin: Der Atem soll in seinem unwillkürlichen Ablauf frei und als gesammelte Atemweise substanzhaft werden. Doch auch hier, in dieser methodisch zugespitzten Eigenheit westlicher Atemarbeit, scheiden sich nochmals die Geister. Offenbar genügen besonders diese beiden  Atemschulen - will man sie hinsichtlich ihrer Ursprungsanliegen scheiden - zunächst unterschiedlichen Vitalitätstypen, die verlangen, in jeweils spezifischer Weise dem Zentralproblem zu begegnen, durch die Selbstzuwendung nicht erneut die Atembewegung zu stören.

Eine kompakt-robuste Muskelstruktur beispielsweise verlangt zunächst eher Dehnung und geduldiges Anwesendsein des Behandlers, damit sich die Person in den Atemraum hineingibt und die Empfindungs- fähigkeit wachsen kann, durch welche das Körperliche aus seiner Dumpfheit entlassen wird. Neigt eine Muskelstruktur zur zähen Abwehrhärte, so wird das Erleben der Atempause für die weitere Atementwicklung wichtig. Anspannungsfixierungen können  aufgegeben werde, wenn die zugelassene Atempause als eine bewegte Ruhe ins Bewusstsein einzudringen beginnt. Die Hingabe in der Sammlungsfähigkeit wird dabei wachsen, wodurch die Person lernt, sich tragen zu lassen. Bei der durchlässigeren Muskelstruktur des Empfindsamen genügt leichter Druck für die Ansprache der Person. Hier gilt es vor allem Atemfelder und Atemräume aufzuwecken und die angesprochenen Kräfte als gerichtete und zentrierte Raumqualitäten zu bündeln. Paart sich die Durch­lässigkeit  mit einer Unter­spanntheit, so gilt es, die versteckte Person über einen erweiterten, sensorischen Raum gewinnenden Einatem aus sich heraus zu locken, damit sie ihrer Raumgrenze gewiss und gegenüber den Einflüsse von Außen unterscheidungsfähig wird.

Die im Waldmatter Kreis gepflegte Veening-Methode gibt Hilfestellungen, die zunächst vor allem dem hoch Durchlässigen und über­durchschnittlich Empfindsamen gerecht werden, der sich leicht anregen lässt, aber auch dazu neigt, überachtsam zu sein und die empfangend-zulassende Hingabe zu verlieren. In der ersten Behandlungsphase, nämlich der Atemmobilisierung, suchen die vornehmlich drückenden Hände ohne großes Verweilen immer wieder von neuem den Kontakt mit der Person des Liegenden. Die Hände wechseln rasch auf andere Leibgegenden und wandern weiter, nachdem sie die erste Antwort erhalten haben.

Die Gruppenarbeit findet vor allem im Sitzen, aber auch im Stehen statt. In der Veening-Arbeit werden zunächst vor allem die Sehnenorgane angesprochen, um eine spannungsausgleichende Anwesenheit innerhalb der Atemräume anzustreben, die ebenso wenig direkt wie bei der Behandlung in die verweilende Empfindung der Muskeln hineingehen soll. Bei empfindsam-durchlässigen Menschen besteht die Gefahr, dass deren direkte Be­wusst­­seinsanwesenheit im  muskulären Gewebe die Atembewegung festhält. Deshalb orientiert die Veening-Meditation nicht direkt auf die Empfindsamkeit der Muskelorgane, sondern auf das Schwing­ungs­inte­gral der Atembewegung innerhalb der Leibwände und zielt darüber auf das unwillkürliche Atemschwingen ab. Kommt die Atembewegung mit der zellulären Schwingung in Einklang, breitet sie sich unwillkürlich aus und entfaltet ihre subtile Kraft, indem sie in das muskuläre und organische Gewebe lösend eindringt.

Dieses Freiwerden des inneren Atems geht nunmehr dahin, worauf etwa Ilse Middendorf wie viele sonstigen sensitiven Leibarbeiten durch passive oder gewöhnliche Gymnastiksysteme durch aktive Dehnungen ein- wirken. Sie wollen die Muskelstruktur geschmeidiger bzw. durchlässiger werden zu lassen. Dies ruft zwar auch Atem hervor. Diese besitzt jedoch nicht diese Substanzqualität des Unwillkürlichen hat, auf welche die Veeningarbeit direkt zugreift und auf welche schließlich auch die Middendorfarbeit hinwirkt.

Die Psychotonik von Volkmar Glaser stellt sich direkt dem Problem des Rückzug aus dem Außenraum, das bei Ãœberempfindlichen und Kranken vorhanden ist. Sie geht nun nicht wie die Veening-Arbeit hinter das muskuläre Gewebe in die innere Räumlichkeit zurück, sondern über dieses hinaus.  Dabei wird methodisch differenziert eingesetzt, was in anderen Verfahren ohne direkte Qualifizierung nur mitlaufen muss, soll der Atem freiwerden: Glasers Atemmassage, sein Kommunikatives Bewegen und sein Eutonie­aufbau sind vor allem darauf angelegt, die leibliche Grenze im sensorischen Verhalten über die physikalische Körperkontur hinausschieben, wobei der Atem allerdings unbe­wusst bleibt.

Dieses direkte Hinauslangen ist weit mehr als Kontaktaufnahme, in der sich Grenzen gegenseitig berühren und das Bewusstsein aufgrund des Bewegens und Verhaltens im vital-sensorischen Raum abwägt. Die Verbindung zwischen den Menschen soll zu ihrem kommunikativen Recht kommen. Der Atemlehrer muss es verstehen, den anderen zur transsensischen Ausdehnung in den Raum zu locken, damit dieser die Sphäre mitfüllen und mitstimmen kann. Dieses sensorische Bezogensein auf den anderen zerbricht leicht beim Überempfindlichen, der zum seelischen Rückzug neigt, wenn er seine Muskulatur selbst zu spüren beginnt, weil er dann, ohne dass diese mit bewusst gewordener Atemkraft gefüllt ist, in die leibliche Bedingtheit seiner Ichschwäche zurückzieht.

Auf die Empfindung der eigenen Atembewegung wiederum zielt der Erfahrbare Atem, dessen Grundformel Atmen – Sammeln – Empfinden ist. Nur eine gesammelte Atemweise - so das gemeinsame Credo der Veening- und der Middendorf-Schule - bringt „Atemsubstanz“, die wandelt.  Middendorf hat gegenüber ihrem Lehrer Veening die methodischen Zugänge erweitert und ein komplexes Ãœbungsensemble entwickelt. Die sprachliche Führung tritt zugunsten des Empfindungserlebens zurück. Der Ãœbenden soll sich durch die Anschauung in das Gezeigte hineinfühlen und eine Ãœbung weder nachmachen und richtig machen. Das pathisch angeregte soll von Innen herauswachsen und nicht das Ergebnis einer Willkürabsicht sein.

Mit ihrer Lehre vom Erfahrbaren Atem hat  sie das Problem der Störbarkeit des Atems durch Selbstzu- wendung für jene bewältigt, deren Gewebe noch nicht durchlässig und empfindsam genug für die Atem- bewegung ist oder deren Muskeltonus sich im kompakten Mittelmaß aufzubauen vermag und an der Verfeinerung ihrer Sinne, der Ausdiffernzierung ihrer produkiven und schöpferischen Kräfte sowie dem persönlichen Erscheinen im eigenen Ausdruck interessiert sind.

Die Arbeit von Ilse Middendorf orientiert sich zunächst an der Muskulatur und deren Eigenreflexen, ihrem Dehnen und und auch Drücken. Das Empfindungsbewusstsein wird zunächst durch die direkte Anwesenheit in den Leibwänden geschult, deren muskuläres Gewebe für die Atembewegung durchlässiger werden soll. Hierdurch entsteht Raum für die Atembewegung, wodurch die Ichkräfte tonusträchtiger werden können. Das Erleben des jedem Menschen zukommenden Eigenrhythmus wird schließlich zu jener Erfüllung, durch welche die Person aus dem Gesetz der Serie ausbricht.

Es sind nicht einfach Übungen, die diesem oder jenem Zweck dienen, mit denen man diese oder jene Kör- perpartie erreichen und ansprechen kann. Übungen bei Ilse Middendorf integrieren sich in einen themati- schen Reigen und zielen auf das Freiwerden einer Atemgestalt ab, die einer Daseinsform entspricht. Das daraufhin versiert angeleitete Üben zeichnet sich sich darin aus, dass es die Atembewe­gungen als Ge- samtheit jener sensiblen Spannungsempfindungen aktiviert, durch die sich ein unmittelbarer, nur der Person des Übenden zukommenden Sinn im Verhältnis von Innen und Außen ausbilden kann. Exakt hierin besteht der wesentliche Unterschied des Erfahrbaren Atems zu vielen Körper- und Leibarbeiten alle mal, aber auch zur veeningschen und der glaserschen Atemmethode.

Ilse Middendorf ist in ihrer differenzierten Ordnung der Atembewegung bis zu jenem Punkt vorgestoßen, an dem persönlich bedeutsame Atemgestalten zum Thema der Atemarbeit werden. „Atemsubstanz“ oder Bewegung aus dem Atem“ entstehen nicht einfach als beliebige Atemsensationen, sondern sind struktur- gesetzlich gebunden. Middendorf spricht von „quasi naturwissenschaftlichen Gesetzen“. Erst auf dieser möglichen Folie kann letztendlich die „eigentliche anthropologische Frage“ eingelöst und Widerspruch gegen die Ausschließlichkeit der transzendentalen Erkenntnis eines Ichs eingelegt werden.

Alle Atemmethoden reagieren in irgendeiner Weise auf das Problem der Antilogik bzw. der Ambuigität. Glaser orientiert deshalb nach außen und lässt nur ein kurzes Selbstspüren nach der Ãœbung zu. Schlaff- horst-Andersen löst beispielsweise durch die Sprachausrichtung das Intentionalitätsproblem und bevorzugt je nach dem Einsatz der Mittel und Methoden den Aspekt der Innen- oder Außenrorientierung. Vennings Ausrichtung des Bewusstseins hinter die Leibwände greift dort auf den Atem zu, wo die Frage der Antilogik völlig neutralisiert ist, weil das motorische nicht als Zugang zum Atem genutzt wird und das Sensorische nur dort zu seinem Recht kommt, wo es als  Substrat einer feinen Atemschwingung  jenseits der Muskelorgane vorhanden ist..

Middendorfs Atemlehre legitimit sich gegenüber der Antilogik von Motorik und Sensorik durch das Ãœber- schreiten einer „Schwelle“. Sie markiert den entscheidenden Umschlag, wenn willentlich eingesetzte Bewegungen, von außen wirkende Behandlungsgriffe  und ebenfalls willentlich-äußerliche Lautarbeiten, die alle Atem hervorrufen, nun einen Ãœbergang vorbereiten, durch die sich ein innerer Atem zu entwickeln beginnt , der  sich als dem Willen entzogene „Bewegung aus dem Atem“ anmeldet. Als unverfüg­bares Substanz bildendes Er­eignis ist diese Bewegung das eigentliche Ziel der midden­dorfschen Atemerfahrung.

Indem nunmehr durch eine Bewegung von innen her der Atem gestalthaft werden kann, werden wir unab- dingbar darauf gestoßen, wer wir sind. Zugleich wird der Kontakt zum anderen und das Bewusstsein um das Eigene und das Fremde aktiviert. Bewegt uns der Eigenrhythmus des Atems, bestimmt in Zukunft das Eindeutige und Direkte. Das Leben wird kostbar. Wir lernen dankbar und demütig dessen Unermess- lichkeit entgegenzunehmen. Der Atem öffnet den Blick auf eine Binnenrealität, welcher uns weder im letztendlich ästhetisierenden Geräusch des Körpererlebens stecken bleiben lässt noch einen moralischen Dezisionismus erlaubt.

Die Transzendenz kommt ins Spiel. Sie ist doppeldeutig und weist über das Ichhafte der Handlungsbezie- hungen hinaus, mit denen wir in die Welt eingreifen und sie umge­stalten. Wir überschreiten uns, indem wir zu uns selbst kommen und uns ein Spielraum gegenüber den sozialen Bedingungen, den Zwecken des Lebens und dem Sinn von Organisationen und Institutionen erwächst. Und wir gewinnen nicht nur mittels des zugelassenen, von innen kommenden und uns erfüllenden Atems Distanz gegenüber den Konventionen, Verpflichtungen und Normen. Das Selbst, das  nicht mehr von der sozialen Welt gefangen genommen ist, lässt den instrumentellen und zweckhaften Einsatz, alle medizinische und psychologische Bedeutung des Atems zum Ende kommen. Es sagt gegenüber deren Erkenntnisse mit innerer Gewissheit: „Ich bin.“

Nur weil uns der substanzhafte Atem nicht mit Haut und Haaren in der profanen Welt einbürgert, wandelt der Atem die Person und setzt uns durch seine Bewegung in ihr um. In der „Bewegung aus dem Atem“ werden wir Bürger einer anderen Welt. Wir lernen uns davon zu entlasten, füreinander alles tun und sein zu müssen, weil wir nunmehr die Grenzen der Machbarkeit erleben. Wir können aufhören, den Mangel an Selbstge- wissheit aufeinander abzuwälzen und uns wechselseitig für alles Misslingen, alles Leid, alle Ohnmacht und alle Fehlbarkeit haftbar zu machen. Der unwillkürliche Atemimpuls heiligt durch eine spirituelle Antwort auf das Leben.

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