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Atemarbeit und  Psychotherapie

[Vegetativum] [Psychotonus] [Chin. Meridianlehre] [Atemgestalt] [Atempsychologie]

Zunächst mag es seltsam erscheinen, dass sich Atemübungen an einem menschenkundlichen Thema orientieren und dabei nicht symbolische Kennungen gemeint sind, wie sie uns mit Übungen aus dem asia- tischen Kulturkreis übermittelt werden. Doch dem Erfahrbaren Atem von Ilse Middendorf fehlt als eigenstän- dig westliche Arbeit die magisch-religiöse Bindung an das archaische Bewusstsein, wie wir es aus der chinesischen Meridianlehre oder dem Yoga kennen. Ebenso wenig wird mit Imaginationen gearbeitet. Im Gegenteil: Es soll weder etwas erdacht noch an etwas gedacht werden. Auch kein seelisch-geistiger Inhalt trägt das Atemthema im middendorfschen Übungsreigen. Das Atemthema gebiert sich aus einer menschen- kundlich qualifizierten Atemgestalt, deren Aufbau wir prägnant empfinden können.

Sicher ist Atmen ein höchst materiell-objektiver Vorgang, der messbar und berechenbar ist. Zwerchfellbewe- gung und Muskelspannung, Tonusregulation und Lösung können als dingliches Atemereignis durch die Wis- senschaften (Anatomie, der Physiologie und Neurologie) betrachtet werden. Luftaustausch, Bauchat- mung, Flankenatmung, Massage der um das Zwerchfell liegenden Organe durch die Atembewegung und Rhythmi- sierung der vegetativen Aktivitäten durch die Atemtätigkeit sowie der mit der Atembewegung eng verbunde- nen Tomnusregulation des Gewebes geben allen Leistungen des Organismus ihre subjektive Form. Dies sind derartige Selbstverständlichkeiten, dass darüber kaum noch geredet werden müsste. Einflussnahmen darauf verpflichtet die middendorfsche Atempraxis mit und oftmals sind es einfache Hilfen eines versierten Atemunterrichts, die Ungleichgewichte und Störungen des Atemvorganges überraschend vermindern und effektiv  das Wohlbefinden erhöhen, Funktionsstörungen aufheben und das Kranksein besser bewältigen lassen.

Die Atembewegung ist aber auch im nichtklinischen Interesse bedeutsam: Atemerfahrungen werden zur Differenzierung der Erlebnisfähigkeit, als Lebenshilfe, die Entwicklung, Ausdifferenzierung sowie Freisetzung der eigenen Ausdruckskräfte und schöpferischen Potenzen des Menschen genutzt. Denn die Atembewe- gung ist die lebendige Leibschicht,  durch die hindurch wir uns sensorisch-vital in einem Raum verhalten, bewegen und erleben sowie auf den anderen beziehen. Die Atembewegung als Atemgestalt ist eine Da- seinsweise. Denn wir atmen so, wie wir uns in der Welt befinden.

Raum und Richtung in der Atembewegung sind menschenkundliche Grundbegebenheiten, durch die hin- durch wir uns ausdehnen und positionieren, reaktionsfähig auf äußere Anlässe sind und innere Impulse freigeben sowie unsere Eigenkräfte entfalten und das Eigene auf das Fremde abstimmen. Wohlgemerkt: Wir sprechen hier von leiblichen Prozessen über die das Außen am Innern und das Innere am Außen arbeitet und sich in der Atemschwingung die informatorischen Resonanzen materialisieren. Dort wo Innen und Außen sich gegenseitig informativ durchdringen, ist nach Auffassung des Romantikers Novalis “der Sitz der Seele”.

Alle Momente unsere Lebendigkeit sind in strukturgesetzlich ausdifferenzierbaren Atemweisen enthalten, durch die wir „in-der-Welt“ sind und uns mit der Gegenwelt sensorisch verschränken. Vom Aufbau oder Zerfall von Atemformen, dem beweglichen Wechsel von der einen in die andere Atemgestalt und überhaupt den sensorischen Unterscheidungen, welche durch die Atembewegung hervorgerufen werden, ist es ab- hängig, wie ich mich in einer Situation befinde und ob mein Verhalten den Bedingungen und Möglichkeiten angemessen ist. Die middendorfsche Atemarbeit kennt deshalb auch Arbeiten am Atemmaß. Die Atembe- wegung als exzentrisches Befinden in einem sensorischen Hintergrundsraum und die positionelle Einnahme einer sensorischen Raumlage, entscheidet über meine Handlungsfähigkeit, ob ich überhaupt zu etwas in der Lage bin, ob etwas gut läuft und ob ich in einer Situation voll aufgehen kann.

Die Pflege der Atembewegung wirkt zunächst unspektakulär. Indem die Erfahrung der eigenen Atembewe- gung die Sinne öffnet, uns für kleine Entdeckungen empfänglich werden lässt und das in die Empfindung zurückbringt, was durch die eingewöhnten Erlebnisweisen nicht mehr stattfinden kann, werden Wandlungen der Person vorbereitet und eingeleitet.

Doch das Besprechen von erlebten Erfahrungen mit der Atembewegung gerät sehr rasch an Grenzen. Die erlebte Empfindung ist reicher als sie ein Wort zu fassen vermag. Und nicht nur dies: Das Reden über die Leiblichkeit kann wird allzu schnell unpräzise und kann geradezu hinderlich für den Erfahrbaren Atem wer- den, den Ilse Middendorf als eine eigene Atemform entdeckt hat. In der Atemerfahrung sollen die prägnant erlebbaren Empfindungen gerade nicht wie etwa in der Körperpsycho­therapie ein Ich aufklären, was immer nur in der Immanenz des Bewusstseins bleiben kann. Stattdessen gilt es die Spannungsempfindungen, die durch das Atmen ausgelöst werden, in ihrer Prägnanz zu erleben, um das in die freiwerdende Atemschwing- ung eingelassene Bewusstsein zu bereichern, erweitern und überschreiten.

Wie alle Empfindungen haben auch die, welche beim Atmen entstehen, den Status, nicht allgemein mitteil- bar zu sein. Bereits wegen dieser Natur der Sache besteht eine Sperre für die Mitteilung durch das Wort, das die unmittelbare Erfahrung selbst dann distanziert, wenn es poetisch das Erleben ausdrückt. Das stille Erfahren des schwingenden Atems ist zunächst ein extrem individuelles Verhalten. Dieses ist selbst darin ein vereinzelter Akt, wenn kommunikativ ausgerichtete Übungsweisen auf das Verbindende und das Part- nerschaftliche orientieren.

Das Atemthema muss als Atemgestalt durchlebt werden, wobei uns die übliche Kopfstimme allzu leicht stören kann. Denn im distanzierten Bewusstsein, das eine Sache begreift, können wir nicht in den Dialog mit unserer inneren Stimme „Atembewegung“ treten. Das Bewusstsein soll weder die Atembewegung betrachten noch sie erstaunt würdigen. Es soll nicht über, sondern vielmehr in der Atembewegung sein – als Sammlung, um schließlich zugunsten des Erlebens der eigenen Atemempfindungen unterzugehen. Und je nachdem, ob diese gerichtete Aufmerksamkeit in Nuancen mehr hingebend ist oder mehr achtsam, ver- ändert sich bereits die Bewegung des Atems und modifizieren sich mit ihm erlebbare Spannungsemp- findungen. Wer aus dem Atem schöpfen will, so die Quintessenz der middendorfschen Atemlehre muss sein Willkürbewusstsein mit seinen absichtlichen Geboten und festgelegten Vorstellungswelten hinter sich lassen.

Alle Erfahrungen aus der praktischen Atemarbeit machen uns darauf aufmerksam, dass sich über die Atem- bewegung Bewusstsein und Leib miteinander verkoppeln. In ihr existiert die psycho-physisch indifferente Brücke zwischen Körperenergetik und Sprache, auf der körpereigene Triebspannungen mit kulturell vermit- telten Bedeutungen zusammenfinden. Was die Psychoanalyse genial von der Sprache und der Traum- symbolik her entdeckt hat, soll bei der middendorfschen Atemerfahrung in der Erregung, im von innen kommenden Atem aufgesucht werden, dessen Bewegungr die Verschränkung des sensorischen Verhältnisses von Innenraum und Außenraum vermittelt..

In der middendorfschen Arbeitsweise wird es selbst  nicht darauf angelegt, dass man sich eines seelisch- geistigen Inhaltes inne wird. Das geschieht bei tiefer Betroffenheit in besonders günstigen Stunden. Viel- mehr soll sich das Bewusstsein an eine durch verschiedenste Übungsweisen hervorgerufene Atem- gestalt – deren Namen ein Atemthema darstellt – anschließen. Es soll sich in das Atemgeschehen einlassen, es empfindend sich von ihm einschließen lassen. Dann ist es von Gedanken leer und Wortbedeutungen entlassen, jedoch von der Atembewegung erfüllt. Das Bewusstsein geht zugunsten des Erlebens unter.

Der middendorfsche Status der Atemerfahrung ist nicht wie die Psychotherapie oder auch die Körper- psychotherapie am homo analyticus orientiert. Es soll mit Atemübungen – spitzen wir den Unterschied zur Psychotherapie und zu vielen gebräuchlichen Praktiken der Körperpsychotherapie zu – nicht etwas Unbewusstes bewusst werden, sondern die Atembewegung als eine eigenständiges Sinnesreich aktiviert, erweitert und ausdifferenziert werden. Da mit der Atembewegung eine vom Bewusstsein unabhängige  präverbale und präkognitive Wertung des Leibes existiert, die an das Bewusstsein appellieren oder von diesem unterdrückt werden kann, kann sich auch in dieser Beziehung eine seelische Dynamik von Bewusstem und Unbewusstem ausbilden. Werden die energetischen Verflechtungen des materiellen Unterpfandes der Emotionen und Wahrnehmung mittels Atemerfahrungen durchgeklärt, erweitert sich infolge dessen das Bewusstsein und das wahrnehmende und willentliche Ich erhält einen Rückhalt im Leib. Durch einen solchen Rückhalt werden ein nie enden wollendes Agieren des Ichs und dessen zerreißende Denkspannungen aufgegebenen. Die Person wird gelassener.

Die Middendorf-Arbeit löst die Bewusstseinsdimension im Atem auf eine paradoxe Weise ein: Sie lässt es zugunsten des Erlebens untergehen. In dem Moment, wo das Eigentliche geschieht, nämlich der endogen eingeschrie- bene Eigenrhythmus frei wird, haben wir in der Atemerfahrung kein Bewusstsein. Nun springt aber umge- kehrt der Atem auch in seiner unwillkürlichen Dimension an, wenn eine belastende seelisch-geistige Infor- mation präzise identifiziert werden kann. Dies kann in einer psychotherapeutischen Reflexion geschehen oder effektiver und direkter durch Resonanzabgleiche eingelöst werden (vgl. hierzu Atem und Information). Hier aber, wo es gelingt, den seelisch-geistigen Inhalt einer Atemempfindung konkret zu erfassen, öffnet sich der animalogische Raum einer Atempsychologie, die mehr ist, als der Nachvollzug körperpsycho- therapeutischer Erkenntnisse.

Eine Atempsychologie legitimiert sich in der praktischen Handhabung zweier bewusstseinstheoretischer Sachverhalte, welche die Middendorf-Atemarbeit mitverpflichtet. Der eine betrifft das Verhältnis von Erleben und physikalisch-chemischer Prozesse. Bekanntlich ist damit eine entscheidend ungelöste Frage der Be- wusstseinsforschung benannt. Neurologische Daten sind nicht mit Erlebnisdaten identisch. Der zweite betrifft das Verhältnis von Wahrnehmung und Empfindung. Bewusstseinstheoretisch steht die ungelöste und nur auf dem Atemgebiet zu beantwortende Frage, wo der Schnitt zwischen beiden anzulegen ist.

In der auf die Atembewegung bezogenen Resonanzarbeit (siehe hierzu die Rubrik Atem und Information), in welcher die Inspirationen des verstorbenen Karlsruher Heilpraktikers und Frequenzforschers weitergeführt werden, ist beiden Fragen eine praktische Antwort gegeben: An der Atemempfindung selbst kann der seelisch-geistige Informationsgehalt des Erlebens konkret identifiziert werden. Damit ist aber auch der Punkt identifiziert, in dem das Wort in den Atem übergeht, in dessen Bewegung sich eine wirksame Psychotherapie zeigt.

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