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Über den Tag hinaus - Soziale Inspirationen

[Westliche Atemlehren] [Atembehandlung] [Bewegungsarbeit] [Arbeit mit dem Laut]

Inhalt
Die anthropologische Frage
Die Inspirationen der Atempioniere im ideologischen Widerstreit
Strukturgesetzliche Gliederung des Lebendigen
Aktuelle Probleme der Wissenschaften als Atemfragen

 

Die anthropologische Frage
UnĂŒberschaubar sind die heutzutage praktizierten Methoden und metaphysischen Annahmen geworden, mit denen am Atem geĂŒbt wird. Geatmet wird in vielen aus Asien importierten Praktiken, modernen Körper- arbeiten und der Körperpsychotherapie, die seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunehmend populĂ€rer geworden sind. Es gibt medizinische Atemtherapien und das Atmen als alternative Heilkunst, der dieses als Erlebnis- und Lebenskunst angehĂ€ngt ist. Wenig bewusst ist, dass sich die Physiotherapie und die LogopĂ€die aus der BeschĂ€ftigung mit dem Atem und dem Leib herausentwickelt haben, um auf eigen- stĂ€ndiger Entwicklungsbasis immer wieder in Konvergenz zu den Entdeckungen in derr Atemarbeit zu treten. Und kaum bekannt ist, wie stark die modernen Körperarbeiten und Körperpsychotherapien auf frĂŒhe Inspirationen der BeschĂ€ftigung mit dem Leib und dem Atem zurĂŒckgreifen, die seit der Wende zum vergangenen Jahrhundert in Deutschland entwickelt wurden.

Vor allem wegen des Traditionsbruches nach 1945 weiß man viel zu wenig um die Bedeutung der eigen- stĂ€ndigen westlichen Atemschulen, die am Leitseil des Atems die Beredsamkeit des Leibes entdeckt und mit zivilisationskritischem Duktus Übungsweisen fĂŒr seine Befreiung entwickelt haben. Eingebettet in das kreative Gemeinschaftswerk einer breiten Bewegung zur Leib-, Bewegungs- Tanz- und HeilpĂ€dagogik wur- den die ersten Experimente eines Jahrhundertprogramms gestartet, nachdem sich in der europĂ€ischen Legitimationskrise des vergangenen Jahrhunderts die Sicherheiten des bĂŒrgerlichen Ichs aufzulösen be- gannen und dessen BedĂŒrftigkeit zum Thema wurde. Der Umgang mit dem Atem und der Atembewegung wurde als ein praktisches Erfahrungsgebiet erschlossen. Dadurch wurde das schöpferische Potential des leiblichen AtemgedĂ€chtnisses zugĂ€nglich sowie eine RĂŒckbindung des Handelns und Verhaltens an die leibliche Atemexistenz des Menschen möglich.

Die noch die Atempioniere antreibende Idee, in der Atembewegung eine integrative Einheit zu sehen, ĂŒber welche sich alles reguliert, was den Menschen ausmacht, stammt unĂŒbersehbar aus dem lebensphiloso- phischen Inspirationsreservoir, das Friedrich Nietzsche geschaffen hat. Auf dem “Weg des Atems” folgte man dem nietzscheanischen Stichwort von der “Prozesshaftigkeit des Daseins” und dem „Leib als Weiser“. UnĂŒbersehbar sind die lebensreformerischen und naturheilkundlichen Antriebe, mit denen sich in der ersten JahrhunderthĂ€lfte des vergangenen Jahrhunderts um den Atem bemĂŒht wurde, lebensphilosophisch geleitet. Was aber damals noch als Ganzheitlichkeit postuliert und nach den  frĂŒhen Erkundungen auf den Methoden konsolidierenden Praxisschliff wartete, wurde durch den Nationalsozialismus diskreditiert.

Doch der Anspruch auf Ganzheitlichkeit war trotzdem nicht unterzukriegen. In der Naturheilkunde oder auch der Homöopathie stand es nach dem Zweiten Weltkrieg als Garant fĂŒr die BedĂŒrfnisse des menschlichen Organismus, die durch die fortschreitenden medizinischen Eingriffe vernachlĂ€ssigt wurden. Nunmehr auch durch die Kritik der ambivalenten Wirkungen der sich endgĂŒltig naturwissenschaftlich etablierenden Medizin angetrieben wurden seit den fĂŒnfziger Jahren neue erfahrungsheilkundliche Therapien entwickelt. Die Elek- troakupunktur integrierte die Homöopathie, die chinesische Meridianlehre und die naturheilkundliche Mobilisierung der SelbstheilkrĂ€fte in einer eigenstĂ€ndigen “Regulationstherapie” und machte Heilhindernisse zum Thema, die durch die Zahnmedizin oder Medizin selbst hervorgerufen wurden. Sie gab den Startschuss fĂŒr die Entwicklung einer modernen Alternativmedizin, deren Diagnose und Therapie sich des Resonanz- prinzips bedient, durch das hindurch sich das Lebendige informiert und formiert..

Von diesem Basis aus konnte nach einer psychologisch motivierten Kritik der Apparatemedizin in den siebziger Jahren der Holismus in den achtziger Jahren eine Renaissance erleben. Die verschiedenen erfahrungsheilkundlichen Therapien wurde weiterentwickelt und sozial verbreitert. Doch das Gemeinsame aller Regulationstherapie, die auf die Mobilisierung der SelbstheilkrĂ€fte abzielt, wurde noch nicht bewusst durch die praktische Arbeit selbst herausentwickelt. Alles steht noch unvernetzt, obwohl die Rede vom Ch’i oder derr Bioenergie auf das entscheidende Medium verweist: die Atembewegung. Man spricht in der Intonisation der Grundsatzfragen vom Energischen durch das sich das Materielle organisiert und hat nocb gar nicht die eigentlich Formfindung der Bioenergie in den Blickbekommen, wie sie als Atembewegung Struktruprinzipien freisetzt.

Will man in diesen Bewegungen die immer mitschwingende Bedeutung des Atems erfassen, gilt es sich zunĂ€chst von dem abzusetzen, was man gemeinhin in den PhysiologielehrbĂŒchern unter Atem versteht. Man meint dort die physiologische Atemfunktion und spricht von einem Atemapparat, der diese vollzieht. Die heutigen Wissenschaften haben vor allem die vegetative Funktion des Gasaustausches, die Aufnahme des Sauerstoffs in der Lunge und in der einzelnen Zelle und den An- und Abtransport der Stoffwechselelemente durch das Blut im Blickpunkt. Deren Erkrankung kurieren eigenstĂ€ndige medizinischen Atemtherapien. Zu dem, um das der kulturelle Fundus weiß, dass der Atem die Kardinalkategorie der Transzendenz ist, hat das naturwissenschaftliche VerstĂ€ndnis von der Atemfunktion keine Beziehung.

Wenn der Einatem einfĂ€llt und einatmen eine Inspiration ist, so sind wir auf einen etmythologischen Sach- verhalt verwiesen, der uns auf eine falsche FĂ€hrte fĂŒhren kann. So fremd dies nun zunĂ€chst klingen mag, gerade nicht das Luftholen und Luftabgeben fĂŒhrt das Interesse der westlichen Atemschulen am Atem. Von dieser sich aufdrĂ€ngenden SelbstverstĂ€ndlichkeit gilt es vielmehr abzusehen, damit sich der Blick darauf richten kann, wie wir durch das Atmen geweitet und wieder schmal werden. Die weitreichende Bedeutung des Atems liegt in seinem materiell-rĂ€umlich sich vollziehenden Innenvorgang, welcher QualitĂ€ten des Sensorischen organisiert, weil beim beim Atmen eine Innenbewegung entsteht. Sie kann den ganzen Leib erfassen, falls dieser gut gespannt und genĂŒgend durchlĂ€ssig ist. Wir können deshalb vielleicht spĂŒren, wie wir  mit dem Fuß oder den Fingerspitzen atmen. Und ĂŒberhaupt kann es möglich sein, jene im Atemrhyth- mus strömende Lösungssensation zu erleben, welche die Inder als Prana erfahren und die Chinesen mit „Chi“ symbolisieren.

Die westlichen Atemlehren zielen auf den Motionsaspekt des Atmens. wegen dem sich Sinnlichkeit formt und wegem dem die Person danach sinnhaft wertet, wie sie sich im sensorischen VerhĂ€ltnis von Innenwelt und Außenwelt positioniert und ausdehnt, sich im empathischen Austausch in seinen eigenen KrĂ€ften zentriert und von außen anregen lĂ€sst sowie seine innere Form entfaltet und das Eigene durch die Integration des Fremden entwickelt. Wegen der Bewegung also, die beim Atmen entsteht, drĂ€ngte sich dem eigenstĂ€ndig westlichen Umgang mit dem Atmen auf, das diesem eine sinnhafte Bedeutung zukommt und Atemarbeit weit ĂŒber den medizinischen Horizont hinausreicht. Dieser kennt die Zeitlichkeit und RĂ€umlichkeit der Atembewegung, wie diese als messbare Atemfrequenz und quantifizierbarer Atemtypus der naturwissenschaftlichen Untersuchung unterzogen wurden. Doch diese bewegte sich in den dualistischen Trennungen, welche in der praktische Atemerfahrung lĂ€ngst zurĂŒckgelassen wurden. so haben die Ă€lteren gestalttheoretisch motivierten Untersuchungen nur wenige kausale ZusammenhĂ€nge zwischen Atem und Emotionen sowie Affekten erkannt, weshalb man dem Atem nur eine epiphĂ€nomenale Bedeutung fĂŒr die Seele zusprach, seine Bewegung aber mitnichten als deren echten Ausdruck zu begreifen vermochte..

Zu anderem Urteil kam jedoch das anthropologische Denken in der Medizin und Physiologie, das durch die Philosophie Martin Heideggers angestoßen worden war und im mittleren Drittel des vergangenen Jahr- hunderts seine Hochzeit hatte.. Der Heidelberger Kliniker und Psychosomatiker Paul Christian analysierte die Atembewegung als eine “Verhaltensweise” und der niederlĂ€ndische Biologe und Psychologe Frederik Buytendijk sah sogar in der  Bedeutung der Spannungen und Empfindungen, die das Atmen hervorrief, die mögliche Antwort auf die “eigentliche anthropologische Frage“. Sie allesamt geben vom wissenschaftlichen und philosophischen Denken her auf, das persönliche Dasein aus dem biologischen Organisationsprinzip Atembewegung zu begreifen.
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Die Inspirationen der Atempioniere im ideologischen Widerstreit
Die ersten Atempioniere waren vor allem KĂŒnstler (die SĂ€ngerin Clara Schlaffhorst und die Pianisten Hedwig Andersen sowie der SĂ€nger Cornelius Veening) sowie einige Ärzte (Johannes Schmitt, Leser-Lasario und der spĂ€tere dazu gestoßene Volkmar Glaser). Viele, die Atemarbeit vorrantreibende Frauen kamen aus der Reformgymnastik. Elsa Gindler und Hede Kallmeyer gehörten zur ersten Generation, Marianne Fuchs, Klara Wolf, Herta Grun und Ilse Middendorf zur zweiten, die bereits zu lichten begann, was in vielfĂ€ltigen AnsĂ€tzen entwickelt worden war. Die Biografien der ersten Atemfrauen hat Karoline von SteinĂ€cker in ihrer Studie „LuftsprĂŒnge“ aufgeschrieben. (vgl. hierzu unter der Rubrik BĂŒcher/ Rezensionen)

Als erste Atemschule konsolidierte sich die Atem- und Stimmtherapie von Schlaffhorst-Andersen, die noch in der Weimarer Zeit „Rothenburger Schule“ genannt worden war. Der Atemaufbau von Veening-Grun, die Funktionelle Entspannung von Marianne Fuchs, die Atemgymnastik von Klara Wolf, die Psychotonik von Glaser und der Erfahrbare Atem von Ilse Middendorf sollten sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg als prononcierte Atemlehren entwickeln. (siehe hierzu die Rubriken Methoden und BĂŒcher/Rezensionen) 1959 grĂŒndeten zwölf AtemĂ€rzte eine Forschungsgemeinschaft, der sich dann zunĂ€chst die gleiche Anzahl von Atemfrauen zugesellten, die es schließlich waren, welche kundig die praktische Arbeit vorantrieben. Der an die einzelnen Personen gebundene Schulbildungsprozess kam schließlich in den siebziger Jahren zum Abschluss.

Elsa Gindler, die der Arbeiterbewegung verbunden war, wollte keine Schule grĂŒnden, sondern unterhielt nur eine Werkstatt zur praktischen Miterforschung des Atems und der Bewegung. Sie vor allem entdeckte die sensitive, d.h. die langsam und beschaulich sowie wiederholt ausgefĂŒhrte Bewegung, die Spannungen löst und dadurch der Atembewegung Raum zum Durchfließen gibt. (siehe hierzu die Rubrik Methoden/Bewe- gung). Gindler galt als Geheimtyp im Berlin der Weimarer Zeit. Clara Fenichel, die Frau des linken und körperpsychotherapeutisch interessierten Psychoanalytikers Otto Fenichel, Wilhelm Reichs frĂŒhere Ehefrau sowie seine spĂ€tere LebensgefĂ€hrtin Elsa Lindenberg und Erich Fromms Ehefrau waren bei Elsa Gindler ausgebildete Atemfrauen. Bei ihr waren alle, die mit dem Atem arbeiteten und sie inspirierte viele, die sich spĂ€ter einen Namen machten. Aber vor allem hatten – dies gilt es nochmals zu betonen – auch jene Kontakt mit Elsa Gindler, die nach 1933 als emigrierte Linke und Juden den Schnitt gegenĂŒber der deutschen Leibmetaphysik zogen und das körperpsychotherapeutische Terrain, die humanistische Kommunikationspsychologie sowie das herrschaftskritische Konzept einer Reformschule ohne Selektion bestimmen sollten.

Alle namhaften ReformpĂ€dagogen waren eng mit Atemlehrerinnen befreundet. Besonders in der Atemarbeit wurden die vertieften Einsichten gewonnen, welche die leibliche Basis der Zuwendung zum Kleinkind entdeckten und die verlangte, das dem Kind eine sorgenlose Zeit zum Ausreifen der Integration von leiblichen und geistigen Funktionen zu gönnen sei. “Lass mir Zeit” war der Titel des in den neunziger Jahren populĂ€r gewordenen Buches der KinderĂ€rztin Emmy Pickler, die bei Elsa Gindler ausgebildet worden war. Der Name Gindler ist vor allem auch in den seit den siebziger Jahren gegrĂŒndeten „Freien Schulen“ in Erinnerung gehalten, welche auch die ersten waren, welche das Konzept der Themenzentrierten Interaktion in den Schulalltag umsetzten. Ruth Cohen hatte diese auf die Freisetzung der individuellen BedĂŒrfnisse und alle mitnehmende Kommunikationskonzept entwickelt. Sie dankt ausdrĂŒcklich Elsa Gindler fĂŒr die Inspirationen aus der Atemarbeit, die sie zu diesem angeregt hatten. Die Walddorfschule der Anthroposophen sollte zusammen mit ihrer medizinischen Kindersprechstunde diesem am fortgeschrittensten wohl in der Atemarbeit erkannten Prinzip des „Mitgehens mit dem Kinde“ eine institutionelle Nachhaltigkeit verschaffen.

Nicht nur diejenigen, die sich direkt auf den Atem einließen, sondern viele, die in der Kunst sowie der Gym- nastik und nicht zuletzt in der ReformpĂ€dagogik tĂ€tig waren, öffneten bereits in der Weimarer Zwischen- kriegszeit ZugĂ€nge zu einem gemeinsamen Thema: das Individuum mit seinen unverwechselbaren, ihm eigenen KrĂ€ften wurde in seiner leiblichen Grundlage entdeckt. Ganz gleich, in welchen ideellen Kleidern sie zu dieser Zeit spazieren gingen: Alle suchten Wege fĂŒr die Anleitung, Bewusstmachung und Gestaltung eines Vorgangs, der von den personalen Erfordernissen ausging und jedem ein individuelle Unverwechselbarkeit zusprach. Ausdruckstanz, Reformgymnastik und Atemschulung entwickelten jede auf ihre Art in der sensitiven Selbstwahrnehmung die Frage nach den inneren Potentialen der menschlichen Reifung, den Mut zur eigenen Entscheidung, den Sinn fĂŒr die Unterschiede und die QualitĂ€t in der Einzigartigkeit eines jeden Individuums. Diesen Prinzipien war die Personalisierung der sozialen Verbindung zur Seite gestellt, die auf die partnerschaftliche Teilhabe setzt.

Sicher bestand in den durch die Jugendbewegungen inspirierten Atemkreisen durch die Zusammenkunft von zivilisations- und kulturkritischer Skepsis und Sehnsucht nach dem Ganzen ein mystischer Drang. Dieser wurde nur langsam durch die Praxiserfahrung, die den Reiz des Neuen hinter sich lassen konnte, abgebremst. In Teilen der Atemkreise konservierte sich ein nachmetaphysischer Naturalismus, der Nietzsches Rat, alles Seiende als Empfindung zu denken, durchbuchstabierte. Ans sensorische Erlebnis rĂŒckgebunden organisierten sich eigenen Gruppenwelten unter dem Imperativ des Heil-seins. Diese Empfindsamkeitswelten ernĂ€hrten sich aus den gesellschaftskritischen Zeitströmungen, welche die Zerrissenheit des Ichs erlebten. Sie standen aber im Gegensatz zu jenem radikalen Bewusstsein um die Geschichtlichkeit der menschlichen Natur, welches die Möglichkeit authentischer GefĂŒhle verneinte. Dem „Weg“ der Innerlichkeit widersprach der „Kampf“ um gesellschaftliche Interessen.

Als versteckte Untergrundströmungen sollten diese GegensĂ€tze auch nach 1945 weiterwirken. Die westliche Atemarbeit versprach mit Hilfe ausgereifterer Methoden in geradezu goetheanischer Ausrichtung das wieder zu gewinnen, was Theodor W. Adorno in kapitalismuskritischer Geste dem Leben absprach: es nĂ€mlich doch im Ganzen wohnen zu lassen. Das durch den Nationalsozialismus diskreditierte philosophische Leibthema sollte ĂŒber die französische PhĂ€nomenologie nun wieder zum Instrument der Ideologiekritik werden. Nach 1968 wurde das durch die herrschaftsaffirmative Naziideologie transformierte Nietzsche- verstĂ€ndnis durch eine herrschaftskritische Leseart abgelöst, in deren Gefolge auch die Existenzphilosophie Martin Heideggers, des grĂ¶ĂŸten Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts, der auch ein Nazi war, rĂŒckeingemeindet wurde. Schließlich machte sich bis in die achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eine neue Naturalisierung des Sozialen unter dem Stichwort Ganzheitlichkeit und Ökologisierung breit. Die naturheilkundliche Ideologie mit ihren Moralisierungen und esoterischen Ende lebte wieder auf. Man sah das Wassermannzeitalter eingelĂ€utet. Und in den jĂŒngeren Atemkreisen murmelte man selbstverstĂ€ndlich mit.

Vieles von dem, was im Laboratorium der Weimarer Zeit entdeckt, experimentiert und freigesetzt wurde, sollte zunĂ€chst in die Emigration auswandern und lange verdrĂ€ngt bleiben, um im Gefolge von 1968 nach Deutschland zurĂŒckzukehren und den in den folgenden Jahrzehnten aufblĂŒhenden PĂ€dagogensozialismus und Feminismus inspirieren. Der Leib wurde als Körper zum kultur- und herrschaftskritischen Material, um das Theorem vom “Naturzwang” aus den FrĂŒhschriften von Karl Marx abzustĂŒtzen. „Triebstruktur und Gesellschaft“, „Revolution und SexualitĂ€t“, „Marxismus und Psychoanalyse“ sowie „SexualitĂ€t und Herr- schaft“ wurden zu politischen Schlagworten einer in Buchform gegossenen Kapitalismuskritik. Die in der verstehend-deutenden Redekultur der Psychoanalyse entdeckten seelischen Mechanismen der VerdrĂ€n- gung und Projektion ließen sich vortrefflich mit einer den Faschismus sowie die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft gleichermaßen treffenden Gesellschaftskritik verbinden.

Das Werk eines Herbert Marcuse, der die SozialphĂ€nomene Arbeit und SexualitĂ€t in ihrem VerhĂ€ltnis zueinander thematisierte, um nach der biologischen Basis des Sozialismus zu fragen oder Wilhelm Reichs Propagierung des Orgasmus, der durch einen Atemreflex in aufgebauter Atemweite und Atemspannung ausgelöst wird, ist ohne eine Konvergenz von AtempĂ€dagogik und Psychoanalyse ebenso wenig zu ver- stehen wie die humanistische Psychologie von Erich Fromm, Ruth Cohen und Abraham Maslow. Sie waren der affektiven Basis der verinnerlichten Herrschaft auf der Spur. Besonders letztere erarbeiteten die Grund- lagen fĂŒr eine gedeihliche Kommunikationspraxis, die sich nicht mehr in NormrigiditĂ€ten unbewusst festbiss, die auf das NebensĂ€chliche achtete, die die BedĂŒrfnisse aller in die Gruppe einzubringen verlangte und die der VerselbstĂ€ndigung gefĂŒhlsmĂ€ĂŸiger Antriebe in sozialen Interaktionen entgegen wirkte.

Von diesen, 1968 in einer politischen Jugendbewegung aufbrechenden Inspirationen ließen sich die Vertreter der traditionellen Atempraktiken wenig beeindrucken. Das Problem war nicht, dass sie nicht den engen Zusammenhang zwischen SexualitĂ€t und Herrschaft gesehen hĂ€tten. Sie begegneten zuoft dem Leid von Personen, die zur sensorischen Verbindung mit dem anderen unfĂ€hig nur auf kĂŒhle Distanz aus waren und das unabdingbare Parteiisch-sein mit dem anderen nicht kannten. Diese waren im Geborgenheit, NĂ€he und Distanz regulierenden Nabelfeld verletzt, ihr Herzraum war verschlossen und Liebe formulierten sie dann allzuoft im VerhĂ€ltnis zur AutoritĂ€t. Einem Weib konnten sie nicht befriedigend beiwohnen, weil sie in der NĂ€he keine Spannung aufzubauen vermochten und umgekehrt dessen Drang nur durch Empfindungsloigkeit begegnen konnten.

Und selbstverstĂ€ndlich wĂ€ren sie die letzten gewesen, die den Kommunikationsstilen widersprochen hĂ€tten, die ebenso in der Folgezeit von 1968 aufkamen und in der moderen Kommunikationspsychologie und Beratungssoziologie weiterentwickelt worden waren. Die Atemarbeit hatte lĂ€ngst zu einer den anderen respektierenden Umgangsweise gerade auch deshalb gefĂŒhrt, weil jede Fehlkommunikation sofort den Atem blockiert hat. Gerade die Arbeit in der Tiefe des Atemleibes, die in unvorstellbarer NĂ€he stattfindet und die nur stattfinden kann, wenn dem anderen Raum gegeben wird, in der sensorischen Verbindung die sensorische Abstandsnahme zugleich gehalten wird, hat zu einem Pool zwischenmenschlichen VerstĂ€ndnisses in den Kreisen der westlichen Atemarbeit gefĂŒhrt, die besonders schmerzhaft die Distanz zur sozialen NormalitĂ€t in Erziehung, PĂ€dagogik und Schule spĂŒrt.

Die Differenz war fundamentaler: Die westlichen Atempfleger konnten vor allem nicht diesen anthropologischen Optimismus der Linken nachvollziehen, der glaubte, durch eine ideologiekritisch munitionierte Kulturrevolution, das GlĂŒck herbeirufen zu können. Der Umgang mit dem Atem verwies stattdessen auf den Kern aller konservativen Menschenkunde, den auch das VerstĂ€ndnis eines Sigmund Freuds abstĂŒtzte: In der menschlichen Natur selbst liegen durch keine bessere Gesellschaft aufhebbare Fundamentalkonflikte. Gerade diese er fasste die westliche Atemarbeit in der unerbittlich sensorischen Dichte der Unmittelbarkeit. Ihre personenbezogene Praxis stĂŒtzte sich darauf, eine Mitte im vital-sensorischen Verhalten zwischen Innen- und Außenraum zu finden und war deshalb weit davon entfernt, deren soziale Durchformung zum Thema machen zu können.

Unterschwellig waren die politischen Scheidungen durchaus vorhanden. Aus der politisierten Sicht war nach 1968 Atemarbeit zunĂ€chst nur in der Form der Körperpsychotherapie möglich. Hier witterte man mehr als dass man es auch genau wusste. In der Tat war die sensitive und gymnastische Atemarbeit in der Zeit des Nationalsozialismus weitergegangen war, manchmal auch außerhalb der Öffentlichkeit und manchmal auch im Untergrund. Doch 1968 war zurecht vor allem die deutsche Innerlichkeit mit ihrer Sozialvergessenheit als ein Grund ausgemacht, dass 1933 die staatlichen Institutionen und Machtorgane dem Nationalsozialismus ausgeliefert worden waren. In der Tat sympathisierten auch viele Atempioniere mit dem Nationalsozialismus. Und vertreten durch Herta Grun und unterstĂŒtzt durch den frĂŒhen BegrĂŒnder der Psychosomatik, den Jungia- ner Richard Gustav Heyer, hatte die Atemarbeit im Berliner “Reichsinstitut fĂŒr Psychotherapie” bereits eine institutionelle StĂŒtze gefunden.

Die Inspirationen der 1968 aufgebrochenen Herrschaftskritik sind inzwischen erschöpft. Will man sie nicht als obsolet abtun, muss man wohl geschichtlich tiefer bohren, um auch die ihnen zuletzt folgenden Anliegen des antimetaphysischen Dekonstruktivismus aufheben zu können, der in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts seine BlĂŒtezeit erlebt hatte. Es bedarf nach dem vergangenen Jahrhundert – das als Dauerspannung des WeltbĂŒrgerkriegs zwischen 1917 bis 1989 terminiert wird – einer versöhnenden Aneignung der gesamten Geschichte. Doch der außerhalb dieser geschichtlichen Entzweiungen liegende archimedische Punkt, von dem einst die mit jugendlichem Elan vorangetriebenen weltanschaulichen Strömungen des zwanzigsten Jahrhunderts vermessen werden können, existiert wohl nicht.
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Strukturgesetzliche Gliederung des Lebendigen
Die Naturwissenschaften, die Physiologie und die Medizin beschĂ€ftigen sich schon lange nicht mehr mit der Frage, ob es eine vereinheitlichende Vitalschicht des menschlichen Innenlebens gibt. Sowohl der kulturelle Fundus als auch die praktische Atemarbeit verweisen freilich darauf, dass in der Atembewegung die innere Instanz existiert, die unser Leben regiert und all unser Tun und Lassen, unser Bewegen, unsere Haltung und unseren Ausdruck konditioniert. In den lebensreformerischen AnfĂ€ngen der neueren Naturheilkunde erahnte man, dass die Atembewegung die entscheidende Grundfunktion sei, deren Störung einerseits bei jeder Funktionsstörung und Krankheit beobachtbar ist und zur Dysregulation des Vegetativums fĂŒhrt sowie deren Ordnung andererseits wiederum die SelbstheilkrĂ€fte zu mobilisieren verspricht.

Demnach wĂ€re die moderne Alternativmedizin mit den Scheinwerfern des Atemthemas auszuleuchten, das eine ungewohnte Anschaulichkeit ans Licht bringt. Auf dem alternativmedizinischen Sektor haben sich eine Vielzahl von Verfahren und Therapien mit Ganzheitsanspruch niedergelassen, von denen viele zunĂ€chst deshalb mit ideologischer Luft umgeben erscheinen, weil fĂŒr ihre Wirksamkeit kein allgemeiner Evidenz- beweis geliefert werden kann. Aber gerade in dieser Frage scheinen die experimentellen Wissenschaften offenbar an Grenzen zu geraten. Dies jedenfalls lĂ€sst der Blick auf die Atembewegung vermuten, in der sich die Wirksamkeit von alternativmedizinischen Kuren zeigt, welche von den offiziösen Wissenschaften abgesprochen wird. Die vermessenden und empirisch verrechnenden Wissenschaften sind offensichtlich unfĂ€hig, das angemessen zu verarbeiten, das sich als Lebendigkeitspotential im qualitativen Aussehen der Natur zeigt und sich in der biologischen Tendenz zur Vollatembewegung variabel, aber keineswegs beliebig entfaltet..

Wie die vielen anderen energetischen Verfahren wirkt die Atemarbeit in jener lebendigen Dimension des biologische Milieus, das durch Strukturgesetzlichkeiten gegliedert ist. Auf sie bezogen sind biologische Tendenzen im Verein mit einer Lebenspraxis freizusetzen. Die Atemarbeit kennt als Bezugspunkt gestalt- hafte Atemweisen, die als Formprinzipien des Energetischen durch das Resonanzprinzip im VerhĂ€ltnis von Innen und Außen informiert werden. Das Atemreich des Lebendigen liegt also nicht auf dem materiellen Gebiet der traditionellen Körperphysik. Es wird ebenso wenig durch Kausalgesetze regiert, die punktgenau manipulierbar und beherrschbar sind. Insofern ergeben sich Erfahrungen, welche dem naturheilkundlichen oder homöopathischen Umgang im VerhĂ€ltnis von Patient und Therapeut gleichen, der sich in der Personen- bezogenheit  legitimiert. So fundiert sich auch die Atemarbeit durch eine individuelle Gewissheit, die in einer eigenen pĂ€dagogisch-therapeutischen SphĂ€re wĂ€chst und als sinnhaftes Geschehen atemleiblich konsolidiert ist. Letztendlich gilt, dass alternativmedizinische Verfahren ebenso wenig nach den MaßstĂ€ben der schulmedizinischen Mittelverordnung und deren Sicherheiten in der Körperkenntnis betrachtet werden können wie die Atemarbeit selbst.

Das kausaljenseitige Reich des Lebendigen anzutreffen bedarf der kreativ eingesetzten Mittel, die vital-pathi- scher Natur und nichtpsychologischer Art sind. Der Atembehandler kann seine Hand etwa auf das Kreuzbein eines AtemschĂŒlers legen. Ob aber darunter sich Atembewegung entwickelt, Kontakt entsteht oder gar eine Begegnung zwischen den beteiligten Personen möglich wird, ist ein Versuchen und Anbieten, birgt einen ErfĂŒllungscharakter, ist aber keine erzwingbare Folge einer Handlung, die als etwas sachlich Eingelöstes abzuhaken ist. Das kann man nur schlecht begreifen, wenn man es nicht selbst erfahren hat, was ErfĂŒlltsein durch eine Atembehandlung oder Atemerfahrung bedeutet, was dann auch das ErfĂŒlltsein durch Lebensverrichtungen als LebensqualitĂ€t wertvoll werden lĂ€sst. Auch der Einsatz eines homöopathi- schen Mittels, dessen Wirkung an der Atembewegung abzulesen ist, bedarf einer Resonanz im zwischen- menschlichen VerhĂ€ltnis, soll es wirken. Ob dann aber etwa diese Information so weiterschwingt, dass etwa eine Funktionsstörung ĂŒberwunden werden kann, ist noch von vielem anderen abhĂ€ngig. Deshalb kann eigentlich in diesem Bereich nur eine Haltung eingenommen werden, die fragt, ob es geht, weil sie sich der Personenbezogenheit einer alternativen Heilkunst gewiss ist.

Das Lebendige antreffende Eingriffe informatorischer oder pathischer Art sperren sich dagegen, durch die statistische Relevanz einer empirischen Forschung bestĂ€tigt werden zu können. Man kann eben nicht einfach nach doppelter Blindheit die Wirksamkeit homöopathischer Medikamente ĂŒberprĂŒfen, bei welcher weder der Arzt noch der Patient wissen, wem nun in einer experimentellen ArzneimittelprĂŒfung die Placebos und wem die wirklichen Mittel verabreicht werden. Dieser TĂ€uschungscharakter im Interesse der Objek- tivierung zerstört gerade das zwischenmenschliche ResonanzgefĂŒge innerhalb einer SphĂ€re selbstidenti- schen Handelns, welcher das homöopathische Prinzip fĂŒr seine personenbezogene Wirksamkeit bedarf. Entsprechendes gilt auch fĂŒr die wissenschaftliche ÜberprĂŒfung der Atemarbeit. Diese bedarf der Reduktion der Atembehandlungskunst auf ein instrumentelles Übungsensemble, das dann in seiner mit der medizini- schen Physiotherapie vergleichbaren Zweckhaftigkeit eingesetzt kontrolliert werden kann. Die Dimension des Atmens aber, die im sinnhaften Personenbezug zwischen Atemlehrer und AtemschĂŒler innerhalb einer „phĂ€nomenalen Situation“ wirkt, die sich darin auszeichnet, keine Entgegensetzung zwischen Objekt und Subjekt durch ein distanzierendes bzw. betrachtendes Ich zu kennen, bleibt außerhalb aller Verobjektivie- rungsvorgĂ€nge stehen.

Die Idee von einem therapeutischen Vorgehen, das so unspezifisch wirken soll, dass die SelbstheilkrĂ€fte mobilisiert werden, hat eigene Bedingungen. Mit ihr rĂŒckt die Frage in den Mittelpunkt des Interesses, was nun die Atembewegung geradebezĂŒglich einer Regulationstherapie eigentlich so bedeutsam macht und was einem solchen Wirken als ausgesprochenem Heilhindernis entgegensteht. Die Antwort darauf kann nun gar nicht mehr allein im vortheoretischen Erfahrungsbereich der verschiedenen Atemschulen und selbst in der alleinigen Reflexion der alternativmedizinischen Verfahren gefunden werden. Sie muss aber vor allem gegen die klassischen VerstĂ€ndnisse der naturwissenschaftlichen Forschung gesucht werden, in denen die Materie dem Geist, der ausgedehnte Körper der Substanz und das Volumen dem Inhalt absolut geschieden einander entgegengesetzt sind. Die energetisch gegliederte Leiblichkeit aber löst dem Körperbegriff auf, weil in ihm das umrissene Volumen durch eine sensorische Innen-Außenbeziehung abgelöst wird. Die substanzhaften Geist-Seele-Inhaltsbeziehungen sind als Prinzipien der Formung des Lebendigen durch den Informationsbegriff zu ersetzen, derm das Resonanzprinip zugehörig ist.

Vor allem die naturwissenschaftliche Ausrichtung der Medizin vergisst, dass die experimentellen Wissenschaften nur eine bestimmte Beziehung zur menschlichen Natur ausbilden, nie aber diese selbst abbilden. Ihre dinglich durch die mögliche Reproduktion zu jeder Zeit und an jedem Ort gesicherten Erkenntnisse stellten sogar die abstrakteste Form der Naturbeziehung gegenĂŒber den vielfĂ€ltigen Möglichkeiten dar, durch welche das konkret Lebendige beeinflusst werden kann. DemgegenĂŒber kennen sowohl die Atemlehren des Westens als auch des Ostens eine Aneignungsweise der menschlichen Eigennatur, die an die unmittelbaren Empfindungs- und konkreten Erlebensschichten des Menschen gebunden ist. Besonders das im Westen eigenstĂ€ndig aufgeschlossene Atemreich, namentlich die subtile Lehre des Erfahrbaren Atem von Ilse Middendorf, macht uns darauf aufmerksam, dass das Lebendige auf molekularbiologischen Niveau nach dem Resonanzprinzip funktioniert und der Informationsaustausch zwischen Innen und Außen das Einfallstor dafĂŒr ist, ob sich der menschliche Organismus gesund erhĂ€lt oder pathologisiert.

Die verschiedenen alternativmedizinischen Verfahren sprechen von fließender Energie. Die westlichen Atemlehren nennen diese den Muskeltonus regulierende Lebendigkeitsempfindung einfach nur Atem. Bei kundigen Körper- und Körperpsychotherapeuten steht diese durchfließende Innenbewegung Pate, um den Erfolg ihrer Arbeit zu bewerten. In der Elektroakupunktur- und Bioresonanz wird sie bezĂŒglich ihrer Dynamik im Aufbau und Abbau muskulĂ€rer Spannungen elektrophysiologisch gemessen und vor allem mittels homöopathischer und isopathischer Medikamente sowie von Mineralien, Vitamine und Enzyme beeinflusst. Das dabei Bemerkenswerte ist, dass diese neueren Therapieerfahrungen eine frĂŒhere Beobachtung des Ă€rztlichen Atempioniers Schmitt bestĂ€tigen. Dieser hatte bereits die Wirkung von homöopathischen Medikamenten auf die Atembewegung beobachtet, von der heutzutage auch die versierteren AtempĂ€da- gogen wissen.

Der unendliche Streit zwischen Schulmedizin und Alternativmedizin könnte im anschaulichen Medium der Atembewegung eine Vermittlung erfahren: Denn begreift man das chinesische Meridiansystem als ein AtemphĂ€nomen – und diesem hat der Atemarzt und SchĂŒler des Altmeisters Schmitt Volkmar Glaser schon frĂŒh eine orginelle Formulierung gegeben – so wird die zentrale Bedeutung des Atems fĂŒr das VerstĂ€ndnis der neueren Entwicklungen in der Alternativmedizin sichtbar. Denn diese steht unĂŒbersehbar auf zwei Beinen, die zunĂ€chst mit der Entwicklung der Elektroakupunktur durch Reinhold Voll seit Ende der fĂŒnfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hin zur Bioresonanztherapie bis zur Kinesiologie laufen lernten: Dem homöopathischen Prinzip und der chinesischen Meridianlehre.

Der Blick auf die taoistische Meridianlehre zeigt uns, dass eine Gliederung der menschlichen Natur existiert, die sich als feldtheoretisches Kontinuum von Körper und Seele, Leib und Geist ausweist (vgl. hierzu die Rubrik Atembewegung/chinesische Meridianlehre). Sie verweist uns auf eine strukturelle Ordnung der menschlichen NaturbewĂ€ltigung, die als archaische Institution geronnen worden war und eine Bindung zum Empfindungsleben aufrechterhĂ€lt, das sich durch eine unterscheidende PrĂ€gnanz auszeichnet. Eine derartige RĂŒckbindung an die Archaik kannte das antike Griechenland nicht mehr. Diese war  sowohl in dessen durch Völkerwanderungen und Kriege durcheinander gewirbelten Gebiet als auch in der rĂ€umlich nahen Staatsbildung des mesopotanischen Zweistromlands mit seiner babylonischen Sprachzerwirrnis zerbrochen. Dieser Ausfall dĂŒrfte ĂŒberhaupt die spezifische Entwicklung einer westlichen RationalitĂ€t bei den alten Griechen herausgetrieben haben, der eine gegenseitige QuĂ€lerei sowie eine BrachialitĂ€t gegen.- ĂŒber der medizinischen Naturaneignung zugehörig ist.

Was den Atem ausmacht, konnte in der Modernen auch nicht mehr aus der leiblich-mystischen Tradition des Mittelalters gewonnen werden. Zu ihr war der Bruch nicht nur durch die AufklĂ€rung vollzogen. Besonders die philosophischen Grundlegungen der Neuzeit versperrten einer Empfindungsunmittelbarkeit zunĂ€chst den Raum zur Selbstgewissheit. Erst nachdem die Klassik der Moderne und mit ihr die gesamte Gesellschaft in die Krise kam, wurde das Leibthema lebensphilosophisch reformuliert. Arthur Schopenhauer und Ludwig Feuerbach sind die beiden ersten prominenten Philosophen. Friedrich Nietzsche suchte dann im Leib den IntegrationsrĂŒckhalt fĂŒr das Ich in einer gottlos gewordenen Welt. Damit war der Weg offen, auf völlig eigen- stĂ€ndiger Erfahrungsbasis und geradezu im Gegenstoß zur sich naturwissenschaftlich rationalisierenden Körpertechnik, das Atemthema zu erschließen.

Leiblichkeit meint keine körperlich-physikalische Substanz, sondern eine sensorische Relation von Innen- und Außenwelt. Je nachdem wie der Mensch atmet, baut er gewebliche SpannungsverhĂ€ltnisse auf, die ihm zugleich sensorische VerhĂ€ltnisse mitgeben, durch die hindurch sich eine VerschrĂ€nkung, in Verbindung und Distanz zwischen Innenwelt und Außenwelt aufbaut. Zwischen Innen- und Außenwelt muss der Mensch eine sensorische Mitte finden, die auch als eine Atemmitte erarbeitbar ist. BinnenrealitĂ€t und Außenraum unterliegen keiner starren Festlegung. Der Mensch ist umweltoffen und plastisch formbar. Er kann aber nur dadurch eine sensorische Mitte im VerhĂ€ltnis zwischen Innen- und Außenraum finden, indem er als Person eine SphĂ€re von Mitwelten schafft, in welche nicht nur der andere sinnhaft einbezogen ist, sondern sich auch ĂŒberindividuelle SozialkrĂ€fte einklinken.

Die Spannungsbeziehungen organisieren sich flexibel als Entwicklung, Hemmung oder Zerstörung von biologischen Strebungen, die zur Vollatembewegung hin tendieren. Raum und Richtung sind dabei die beiden anthropologischen Grundbegebenheiten, welche in besonders subtiler Weise durch die middendorfsche Praxis des Erfahrbaren Atems gestalthaft ausdifferenziert wird. Es ist diese Dimension der Atembewegung, die als Aufbau und Zerfall von Atemgestalten allererst unser Befinden als “In-der-Welt-sein” (Martin Heidegger) stimmt.

Je danach, wie wir uns sensorisch ausdehnen und sensorisch im Raum positionieren, sind wir Atmo- sphĂ€renbildner. Auch die zwischenmenschliche Empathie hat - wie bereits erwĂ€hnt - als AtemraumphĂ€nomen einen sensorischen Untergrund, der sich ebenfalls von zwei Seiten zeigt: Sie genĂŒgt einerseits der sensorischen ReagibilitĂ€t gegenĂŒber dem Außen und folgt andererseits der sensorischen Vedichtung der eigenen KrĂ€fte. Und ebenfalls aller Bewusstheit, aller kognitiver Wahrnehmung und aller Willensabsicht voraus geht die Freisetzung des Eigenen, das sich vom Fremden abstĂ¶ĂŸt oder dieses zu integrieren vermag. Auch diese Ebene der Personlichkeitskonstitution hat eine innere, nicht im WechselverhĂ€ltnis von Innen und Außen aufgehende, aber auch nicht ohne dieses denkbare und wirkende Selbstentfaltungsdimension, die in ihrem Prinzip der selbsttĂ€tigen Formbildung auch Entelechie genannt wird. Auch diese verdoppelte Innen-Außen-Relation der vitalen Pathie gibt allen TĂ€tigkeiten des Ich einen Widerhall und – falls den leiblichen BedĂŒrfnissen gefolgt werden kann – einen RĂŒckhalt.

So wie sich eine Person in den Außenraum sensorisch hinausdehnt, um innerhalb dieser SphĂ€re eine personale Mitwelt zu schafften, und sich durch sensorische Hereinnahme dieser ihre eigene Welt erarbeitet, atmet sie. Wie wir uns in unserem vital-sensorischen Bewegungsraum befinden, ihn als Person mit anderen teilen, uns in ihm von anderen sinnhaft unterscheiden, ob wir Distanz ohne Verbindung halten oder uns ohne behauptete Eigenkraft vom Außen dirigieren lassen, ist ebenso von der Bewegung abhĂ€ngig, die beim Atmen entsteht. Durch sie wird ein Befinden im Raum aufgebaut, durch das hindurch wir die beiden Grunformen der conditio humana, die Abgrenzung und die Verbindung realisieren.

Nicht nur das SolitĂ€re als Grundbestimmung der Conditio humana ist in der Atembewegung grundgelegt. Aus der mit ihr gegebenen SphĂ€renbildung geht zudem das durch alle politischen OrganisationskrĂ€fte des vergangenen Jahrhunderts instrumentalisierte Faszinosium der Bewegung hervor, die gemeinsam zustande kommt und in der kein einzelnes Ich als Demiurg identifizierbar ist. In der sensorischen Dimension der Atembewegung ist die vital-pathische Leibesdimension angelegt, innerhalb welcher der Mensch gar nicht mehr egoistisch sein kann. Er ist dann unverrĂŒckbar parteiisch, wenn er mit dem anderen ohne Ich-Distanz verbunden und gerade darin auf diesen personal bezogen ist.

Darauf dass das Menschliche allererst in der Ausdehnung, eben im Zwischenmenschlichen grĂŒndet, stĂ¶ĂŸt uns unabweisbar der Umgang mit dem Atem. Dass er durch die Szenarien des WeltbĂŒrgerkriegs des vergangenen Jahrhunderts verpflichtet werden und das humane Distanzprinzip als liberalistische Vereinseitigung in der Globalisierung voran getrieben werden kann, lehrt die Geschichte.
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Aktuelle Probleme der Lebenswissenschaften als Atemfragen
Durch die Erfahrungen mit dem Atem ist im vergangenen Jahrhundert Neues entdeckt worden, das in der Verfasstheit ursprĂŒnglicher Anthropologie weitergegeben wurde. Durch die BeschĂ€ftigung mit der Atembewe- gung wurden Erkenntnisse um die menschliche Eigennatur und Praktiken zu deren besseren BewĂ€ltigung herausgefunden, von denen die wissenschaftlichen Systeme bis heute nur rudimentĂ€r wissen. Das kultur- revolutionĂ€re Ziel der westlicher Atemarbeit gipfelt darin, den Eigenrhythmus eines Menschen zum Ausgang seines Tuns und Schaffens zu nehmen, um dem Ich von einer integrierten Atemleiblichkeit her einen RĂŒckhalt zu verschaffen

Mit diesem Ausgang ist nochmals ein Blick auf die Gesundheitsproblematik in ihrer Regulationsdimension zu werfen. Denn fĂŒr die Beobachtung von Paracelsus „alle Heilung geht durch den Atem“ spricht Beacht- liches aus dem Bereich des Vegetativums. Es existieren enge Wechselwirkungen zwischen dem Atem und dem Rhythmus aller OrgantĂ€tigkeiten, weshalb die Arbeit am Atem fĂŒr die Heilkunst eine direkte Eingriffs- möglichkeit darstellen kann, um gestörte Regelmechanismen des Gesamtorganismus in die NormalitĂ€t zurĂŒckzufĂŒhren. Die Atembewegung steht im funktionellen Zusammenhang mit den humoralen KreislĂ€ufen, der Ordnung der FlĂŒssigkeiten in Lymphe und Blut. Die Atembewegung gilt sogar als zweites Herz. Der Magen entleert sich beim Ausatmen. Beim Einatmen entblutet die Leber entblutet und die Haut fĂŒllt sich mit Blut. Der Druck auf die um das Zwerchfell liegenden Organe, ihre StĂŒtze durch den Hub der Zwerchfellbe- wegung sowie die Verformung der Eingeweide stellen Funktionsreize fĂŒr das Vegetativum dar. Über die Atembewegung pflanzen sich die muskulĂ€ren Spannungen in intraorganischen und vegetativen Funktionen fort.

Derartige Feststellungen, die Ă€ltere Untersuchungen referieren, welche im heutigen Medizinbetrieb verges- sen sind, weil sie nicht mehr fĂŒr das therapeutische Handeln gebraucht werden, erscheinen zunĂ€chst wenig problematisch. Dass jedoch sogar das Denken und das Entscheiden, das Wahrnehmen und das Bewusst- sein, die GefĂŒhle und die Empfindungen von diesem leiblichen Organisationsprinzip abhĂ€ngig sein sollen, lĂ€uft zunĂ€chst all den im vergangenen Jahrhundert eingewöhnten Vorstellungen von der Psyche und der Neuroanatomie zuwider. Doch bereits ein knapper Blick auf die neurologischen ZusammenhĂ€nge, sollte nachdenken lassen und zeigen, dass diese Sichtweise keineswegs von vorne herein zu verwerfen ist.

Das gesamte muskulĂ€re Reflexgeschehen ist sehr eng mit der Atembewegung verbunden: Zentral ĂŒber die tonische Steuerung der Formatio retikularis, der das Atemzentrum zugehörig ist, und peripher ĂŒber die Eigenreflexe. Dehnung und Druck bedeuten eine automatische SpannungsverĂ€nderung und rufen den Atem hervor. Die Aufrichtung stabilisiert sich durch die mit der Atembewegung gegebenen Haltereflexe. Der Fluss der Atembewegung wirkt als Spannungsdifferenzierung der Muskeln, der Sehnen und der Haut und stellt dementsprechend deren Sensorik ein. Und keineswegs zuletzt reguliert die Atembewegung die energe- tischen ZustĂ€nde der Zellen und ZellverbĂ€nde.

Alle bewussten und kognitiven Verarbeitungsprozesse der Großhirnrinde beziehen sich auf die Systeme und Hirnkerne der RetikulĂ€rformation, durch die leibliche SpannungszustĂ€nde in seelische Wahrnehmungsqua- litĂ€ten transformiert werden. Da der AktivitĂ€t dieses stammesgeschichtlich Ă€lteren Areal sowohl die Regula- tion des Muskeltonus als auch des Atems unterliegt, drĂ€ngen sich die ZusammenhĂ€nge geradezu auf, wo- nach die Atembewegung ein psychotonisches Leibgeschehen ist, das sich im VerhĂ€ltnis von Innen und Außen organisiert. Da das Verhalten durch die retikulĂ€ren Subsysteme der Wachheit, der Aufmerksamkeit und der Körpererinnerung gesteuert wird, kann die Atembewegung fĂŒr das, wie das Ich die Bewusstseins- ströme verarbeitet, keineswegs gleichgĂŒltig sein.

Außerhalb der abendlĂ€ndischen Tradition liegen wir mit derartigen Überlegungen keineswegs. Geist und Leib sind auch Topi ihrer neuzeitlichen Philosophie, die sich von romantischen Bedeutungsinhalten ĂŒber eine personal-christliche Interpretation bis hin zur neuzeitlichen Metaphysik entwickelten. Der Bewusstseins- begriff ist ein Produkt der Neuzeit. Dessen transzendentale GrundprĂ€misse fĂŒr das Ich sollte nachhaltig in den naturwissenschaftlichen Weltbildern fortwirken, nachdem es Helmholtz gelungen war, die elektrischen Ströme der NerventĂ€tigkeit zu messen. Nun saß das Denken, das Bewusstsein und das Ich endgĂŒltig im Kopf und die Psychoanalyse fundierte diesen neuzeitlichen Mythos, indem sie den rationalen Bewusst- seinsakt des Ichs durch ein psychisch Unbewusstes regiert sah, das sich nie anatomisch-neurologisch verorten ließ. Erst die neuere Hirnforschung und die sich an diese anschließende philosophische Debatte erkennt, wie dramatisch falsch die Annahme einer zusammenfassenden Großhirnsteuerung mit einem hierachischen Durchgriffsrecht auf den Körper ist, das dann durch die IrrationalitĂ€ten der Seele gestört sein soll.

Die neuere Hirnforschung hat erkannt, dass es keinen kurzen Weg zwischen den Sinnesorganen und dem Bewusstsein gibt. Ebenso wenig existiert nach ihrer Erkenntnis im Gehirn ein ĂŒbergeordnetes singulĂ€res Zentrum fĂŒr bewusste Akte, das im Körper anordnet. Vielmehr ĂŒben die verschiedenen Subsysteme ihre NerventĂ€tigkeit parallel aus. Die durch die Atemerfahrung und durch Helmuth Plessners Anthropologie gestĂŒtzte Grundthese ist: Mit der Atembewegung existiert jene integrale Hintergrundempfindung, welche den Bewusstseinsakten einen leiblichen RĂŒckhalt gibt und damit die Einheit der SinnestĂ€tigkeit garantiert. Wenn dem so aber ist, dann muss das, was die psychische Dialektik des Unbewussten und Bewussten genannt wird, viel tiefer im Leib  angelegt sein. Das Atmen gibt uns auf, sie in der Vermittlung der sinnlich-sensorisch-leiblicher GrĂŒndung des Lebens im Raum mit den intelligiblen des Bewusstseins zu sehen. Es ist dann so, dass das AtemphĂ€nomen uns zu klĂ€ren erlaubt, wie einerseits der Schnitt zwischen Empfindung und Wahrnehmung anzulegen und andererseits das VerhĂ€ltnis von Erleben und Neurologie zu fassen ist. Beides sind die entscheidenden Fragen, mit deren KlĂ€rung eine Bewusstseinstheorie ihre AnsprĂŒche einzulösen hĂ€tte.

Der VerĂ€nderung der sensiblen EindrĂŒcke, die durch die Atembewegung hervorgerufen werden, dĂŒrften wohl biomolekulare Motoren zugrunde liegen. Die Atembewegung scheint in die informative Steuerung der zell- biologischen Reaktionen hineinzuragen, welche durch die elektromagnetischen Wellen, die Urinformation allen Lebens, hervorgerufen wird. VerĂ€nderungen der Zustandsbefindlichkeit dĂŒrften bis in die zellenerge- tischen ZustĂ€nde hinabreichen, wobei in Millionen von Zellen die Atembewegung gleichzeitig fĂŒnf bis fĂŒnf- zehn MolekĂŒle auf anderen Platz setzt. Wahrscheinlich ragt die Innen-Außen-Formierung der an die Atem- bewegung gebundenen SinnesflĂ€chen bis in dieses biomolekulare Milieu und wird nach dem Resonanz- prinzip vermittels zusammengehörender Photonenpaare vollzogen.

Wenn derartig spekulativ das Ganze gesehen wird, könnte es fĂŒr die Wissenschaften interessant werden, sich dem PhĂ€nomen  Atem zu nĂ€hern. Manches könnte, selbst wenn es nicht statistisch verrechnet und empirisch als Kausalbeziehung wiederholbar festgestellt werden kann, doch plausibel und damit mit Hilfe von theoretischen RĂŒckschlĂŒssen erklĂ€rbar  werden. Vielleicht könnten sogar die molekularbiologischen Wissenschaften, die immer abstrakter werden, in der Anschaulichkeit der Atembewegung einen Quell der Inspiration finden.

Und keineswegs zuletzt, wĂŒrde eine solche BerĂŒcksichtigung des Lebendigen nicht nur die Machbarkeit- sillusionen dĂ€mpfen, wonach sich die Naturwissenschaften aufmachen könnten, die Evolution zu entmach- ten. Es könnte stattdessen eine Phase von medizinischen Eingriffen eingeleitet werden, die auf einer Atem- basis stattfinden, in welcher die Person zwingend gefordert ist, weil nichts der Technik allein ĂŒberlassen werden kann. Denn der belauschende Umgang mit der eigenen Atemnatur bringt Einsichten, die die Ganzheitlichkeit und Autonomie des menschlichen Organismus sichern.

Wir haben auf das vergangene Jahrhundert aus Atemsicht zurĂŒckzublicken, weil wir uns offenbar auf der Schwelle zu einer anderen Zivilisation befinden. Ihr gibt das Atmen Fragen auf, wie ein kommunikatives Ver- hĂ€ltnis zur eigenen Natur zu finden und der ökologischen Dimension der menschlichen Eigennatur gerecht zu werden ist. Diese sind mit der Politisierung der VitalbedĂŒrfnisse durch die sozialistische Arbeiterbewe- gung seit dem neunzehnten Jahrhundert Hintergrundsthema aller weltanschaulichen, sozialen und politi- schen Auseinandersetzungen. Sie stehen inzwischen unĂŒbersehbar auf der Tagesordnung. Jenseits der großindustriellen Zivilisation, deren traditionelle HerrschaftsbedĂŒrfnisse sichtbar zu Ende gehen, entfalten sich die geschichtlichen Lebensmöglichkeiten, in denen die Menschen in höchst individueller Weise die leibseelischen Balancen zwischen Kultur- und Eigennatur finden können und wohl auch mĂŒssen.

Durch unbarmherzige Krisen einer historischen Schwellensituation hindurch, die dem Übergang zur Sess- haftigkeit in den frĂŒhen Gellungseinheiten oder der Industrialisierung entspricht, werden die natĂŒrlichen und sozialen Bande historisch neu verknĂŒpft. Der Gesellschaft geht die wertschöpfende Arbeit aus und die klas- sische Arbeit versiegt als Springquell des Reichtums. Die Möglichkeit von der alle Gesellschaftsutopien der abendlĂ€ndischen Geschichte getrĂ€umt haben, dass alle ein Leben ohne materielle Entbehrung fĂŒhren kön- nen und darauf grĂŒndend die jedem Menschen zukommenden schöpferischen Potentiale entfaltungsbereit werden, ist lĂ€ngst da.

siehe auch          

     Die Atembewegung. Wie der Körper zum Leib wird.
         (konzeptioneller, die physiologischen und anthropologischen Wissenschaften reflektierender                        Essay von Markus Fußer), der die gekĂŒrzte Fassung von “Die Atembewegung”, erschienen im
         “Handbuch der Körperpsychotherapie”, Herausgegeber G. Marlock und H. Weiss (Schattauer Verlag
         fĂŒr Medizin und Naturwissenschaften, Stuttgart 2006)  ist. In diesem Handbuch geben sechzig
         international renommierte Körperpsychotherapeuten einen imposanten Überblick ĂŒber die
         Entwicklungen der vergangenen dreißig Jahre auf dem Gebiet der Körperpsychotherapie.

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