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Psychologie des Körpers und  Animalogie der Atembewegung

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Die Frage um eine Psychologie des Atems trifft auf eine außerordentliche Leerstelle, was zunächst verblüfft, weil sich die Seele in nichts anderem unmittelbarer und plastischer ausdrückt, als in der Atembewegung. Aber gerade die Macht dieser Unmittelbarkeit scheint die Probleme aufzuwerfen, weil das damit gegebene Einfache auch wieder in komplexen Zusammenhängen steht, die sich nicht kausalen Gesetzmäßigkeiten fügen.

Der Anschauung stellen sich vorne weg zwei grundsätzliche Schwierigkeiten, die entscheidend für die Leer- stelle Atempsychologie sind: Erstens sind Atemweisen gegenüber ihrem seelisch-geistigen Gehalt indiffe- rent. Ein und dieselbe Atemweise ist offen für die Manifestation der verschiedenen seelisch-geistigen Ge- halte. Nur in Verbindung von deren menschenkundlichen Bedeutung und der mitgeteilten Lebensrealität kann das reflektierende Ich Rückschlüsse über die Qualität von Belastungen oder die Art von Erfüllungen ziehen. Die Intuition kann aber auch ein Inne-werden seelisch-geistiger Gehalte zukommen lassen.

Und zweitens ist in der Atembewegung der Gegensatz zwischen Körperlichem und Seelischem neutralisiert. Deshalb kann ein- und dieselbe Atemweise sowohl Seelisches als auch Körperliches bedeuten. Ein kurzes Atmen etwa kann das Ausgleichen einer Sauerstoffschuld wegen eines anstrengenden Treppensteigens sein oder auch eine manifeste Angst signalisieren. Es kann aber auch die Resonanzantwort auf eine geopathische Belastung, etwa eine Verwerfung oder ein Gitterpunkt sein. Ein kurzes Atmen in der Atembehandlung kann jedoch auch den Wandel von einer Fehlatmung zu einem freien Atemfluss vorbereiten. (vgl. hierzu den Aufsatz Lampenfieber als Atemgestalt, in: Der atembewegte Leib, Atemraum)

Indifferenz und Neutralisierung dürften auch dafür verantwortlich sein, dass im vergangenen Jahrhundert  bereits früh angestellte Untersuchungen zum Verhältnis von Atembewegung und Emotion nur wenig ergiebig waren. Diese gestalttheoretisch angelegten Forschungen erkannten durchaus einige atempsychologische Gesetzmäßigkeiten. Doch deren waren viel zu wenige erkennbar, als dass sie einer eigenständigen Atem- psychologie auf die Beine hätten helfen können. So blieb in psychologischer Sicht die Atembewegung ein Epiphänomen des Seelischen. Und nicht zuletzt wurde sie auch so in der Körperpsychotherapie betrachtet, die viel weitergehendere Erkenntnisse über das Verhältnis von Körper und Seele gewinnen konnte und vor allem den Atem instrumentell nutzte. Der freiwerdende Atemfluss war zumindest der Pate, dass die eigene Arbeit erfolgreich war.

Für die Atemarbeit war keineswegs zufällig der Leibbegriff leitend, weil erkannt wurde, dass in der Atembe- wegung Seele und Körper ineinander übergehen. Sie ist deren gemeinsames „drittes Reich“ (Helmut Pless- ner). Aber gerade der Leib-Geist-Gedanke zeigt uns, dass der Atemgegenstand sich auch von der Seite des praktischen Umgangs mit ihm als sperrig erweist. Denn bei der Atemerfahrung regiert nicht das Ich. Diesem ist versperrt, sich zur Erkundung aufzumachen. Das Ich, das am Rande der Empfindung steht und seinen Atem beobachtet, deutet oder interpretiert, schafft einen Atem demgemäß, wie es ins Innere hineinschaut. Erkenntnisse des Ichs bleiben zirkulär. (vgl. hierzu den Essay “Zwischen Bewusstsein und Erleben” .

Damit der Atem ins Fließen kommt und seinen Eigenrhythmus freigibt, muss das Ich zugunsten des Erle- bens der Atembewegung untergehen. Dieser bewusstseinstheoretische Sachverhalt speist sich aus einer Kipplogik: Wer beobachtet oder reflektiert, erlebt nicht seinen unwillkürlichen Atemfluss. Und wer diesen erlebt, kann nicht zugleich deuten, was dieser bedeute, welchen seelisch-geistigen Inhalt er mit sich trägt. Die nur durch Atemerfahrungen in ihrem unwillkürlichen Fluss aufzuschließende Atembewegung unterliegt dem „Geheimnis der Immanenz“

Die Atempioniere lernten zunächst an der Atembewegung abzulesen, ob vom anderen ausgehende Belas- tungen abgewiesen werden können, der eine mit dem anderen verschmilzt oder der eine sich des anderen bemächtigt. Derartige Schlüsse lassen sich aus der sensorischen Qualität der Atembewegung ziehen, wie sie aus den geweblichen Spannungen hervorgeht, deren psychotonische Qualität vor allem auch die Körper- psychotherapie orientiert. Doch auf dieser einfachen Ebene des Muskeltonus zeigen sich bereits die Tren- nungen. Die Körperpsychotherapie interessiert die Klinik und diagnostiziert die Defizite. Beides interessierte die wohl subtilste westliche Atemlehre, der Erfahrbare Atem von Ilse Middendorf wenig. Sie zielt vor allem auf die Entwicklung der Atembewegung durch das Üben ab, um die schöpferischen Potenzen eines Men- schen freizusetzen. In der übenden Entwicklung einer Vollatembewegung entstand die Gewissheit um eine pathische Vitalität, die sich – wie wir mit dem Geheimnis der Immanenz angedeutet haben – in para- doxer Weise gerade in dem Moment selbst schafft, wo die Aktivitäten des bewussten Ichs durch das pure Erleben abgelöst worden sind. Gewissheit ist demnach gar keine Qualität des Ichs. Dieses nimmt jene nur zur Kenntnis.

Die heutige Körperpsychotherapie betrachtet die Sensitivität noch substantialistisch von der Nervenverfasst- heit der Sinnesflächen her. Sie appelliert an das verstehende und deutende Ich und nutzt hierzu den Körper. Die eigenständigen Regulationen des Leibes, an welchen die westliche Atemarbeiten unmittelbar arbeiten, berührt sie damit nur. Selbstverständlich wirkt die Körperpsychotherapie auch als Atemereignis. Alle Empa- thie und alle Hermeneutik lebt von einem Atem-Ich, das den kommunikativen und interaktiven Akten des Individuums einen leiblichen Widerhall spendet oder einen leiblichen Rückhalt gewährleistet.

Der Leib bleibt im heutigen Rahmen der Körperpsychotherapie noch das, was der Begründer der anthropolo- gischen Medizin Viktor von Weizsäcker als „das größte Geheimnis“ empfand. Sie weis noch nicht, dass der Körper nicht nur leibseelisch empfängt, sondern auch aktiv sucht, also sendend in den Informationsaus- tausch eintritt, weil sich die Person transsensisch verhält. Die körperpsychotherapeutische Sichtweise zielt auf kognitive Steuerungen des Bewusstseins ab, wobei sie aber in unterschiedlicher Leibnähe in das Sin- nenfeld, den Muskeltonus und die Atembewegung einwirkt. Für die Körperpsychotherapie ist also nicht in letzter Konsequenz der Leib entscheidend. Den Sachverhalt, dass gegenüber der Gehirnzentrale eine relativ eigenständige Modulation der muskulären Spürfähigkeit existiert, halten die verschiedensten Praktiken der Körperpsychotherapie in der Schwebe.

Das Psychische vermittelt zwischen der sinnlich-sensorischen Leiblichkeit und den intelligiblen Funktionen. Es wird in der Körperpsychotherapie vor allem intuitiv im Anschluss an die psychoanalytischer Reflexion erschlossen. Dabei wird das Ich in seiner Randexistenz der Empfindung thematisiert. Es gibt außerdem gestalttherapeutisch entdeckte heuristische Prinzipien, die von einer an Hand der psychoanalytischen Ent- wicklungslehre typologisierten Haltung ausgehen, um mit dieser Interpretationsfolie das Deuten und Verste- hen anleiten. Oder es wird durch forciertes Atmen seelisches Material freigelegt. In den Kreisen der Körper- psychotherapie organisiert sich auch die Konzentrative Bewegungstherapie, die dann doch wieder eher eine echte Leibpraktik als eine Körperpsychotherapie darstellt.

Da sich das Seelische in einer dargestellten Bewegung zeigt bzw. wir es im Ausdruck antreffen, ohne dass wir seiner Gehalte inne werden müssen, kann auch durch Körper- und Atemarbeiten gegenüber dem Seeli- schen neutralisiert gearbeitet werden. Wenn unmittelbarer mit der Empfindung gearbeitet wird, ist das psychotonische Wirkfeld angesprochen. Selbstverständlich ist auch eine seelische Wirkung spürbar. Und keineswegs zuletzt können sich aktuelle seelische Konflikte durch das Üben und Behandeln auflösen und Wandlungen der Person einleiten.

Doch will man den physiologischen Ort benennen, über den die seelisch-geistigen Belastungen in einen konkreten Atemverlauf übergehen, so muss man offenbar tiefer steigen. Denn dieser kann nur unterhalb der Tonusregulation des muskulären Gewebes nämlich in den Wirkungen der Zellbiologie zu finden sein. Die Erfahrung von der gestalthaften Form der sensorischen Schwingungen der Atembewegung und der plötzliche Umschlag einer Stimmung aufgrund von Atemerfahrungen, verweist uns unabdingbar auf die molekulare Dimension der Biologie, innerhalb welcher sich der Austausch zwischen Innenwelt und Außenwelt abspielt. Offenbar vermag eine durch Informationsaustausch wechselnde Atemweise schlagartig den energetischen Zustand ganzer Zellverbände zu beeinflussen, der sich durch die gleichgerichtete Anordnung von Molekülen innerhalb jeder Zelle organisiert, wodurch der gesamte Organismus umgestimmt wird.

Wir treffen so gesehen das Atemphänomen in seiner molekularbiologische Elementarität der Empfindung an. Erst hier offenbart es sich in seiner vital-pathischen Dimension, innerhalb der es Grundlage der Trans- zendenz sowie Wirkkraft in der menschlichen Begegnung ist. Die Atembewegung ist keineswegs nur eine abhängige Variante von körperlichen oder seelischen Wirkkräften. Die Atembewegung ist vielmehr der Inbegriff der menschlichen Selbstbewegung.

Die Schwingung des Atems ist eine lebendige Erscheinung, die nicht wie die tote Materie sich in ihren Gegensätzen nivelliert und Energie verbraucht, sondern erstere entfaltet und dadurch letzteres aufbaut. Doch die Atembewegung ist nicht nur Energie, sondern auch Antrieb (Trieb) und Dynamik. Gelungener Kontakt wirkt anregend, weil sich die Energie durch eine variantenreich modulierende Atembewegung schöpft und erschöpft, durch einsilbig rigide Atemabläufe. Die Schwingungsmöglichkeiten des mit der Atembewegung gegebenen Lebendigen sind um so größer in ihrer Bandbreite und damit vielfältiger in ihrer Bewegungs- variation, je mehr sich die biologischen Tendenzen zur Vollatembewegung durchsetzen können.

Wegen ihres Selbstbewegungscharakters qualifiziert die Bewegung des Atems, ob und wie wir überhaupt von anderen seelisch-geistig belastet werden können. Dabei ist der gestalthafte Aufbau von Atemformen dafür entscheidend, was wir im Austausch zwischen Innen und Außen spüren bzw. welche Frequenzen ankommen oder welche abprallen. Der Zerfall der Vollatembewegung ist ein Abbau der Person und das Einfallstor dafür, dass belastenden Resonanzkreise entstehen und negative Informationen eindringen können. Energieverlust entsteht, wenn an uns gezogen wird. Und Energie kann zugeführt werden, wenn wir nicht selbständig sind und an anderen immer noch wie an der Mutterbrust saugen.Nach den Erfahrungen des Umgangs mit Resonanzabgleichen, wirken Informationen seelisch-geistiger Natur in einer punktuellen, flächigen und räumlichen Tiefe der Leiblichkeit. Die Weise ihres Eindringens und die Möglichkeit zur Affinität oder zur Selektion der Informationen hängt jedoch von der Atemgesamtverfassung ab.

Nimmt man aber diese Leibthematik ernst, so wird klar, dass eine Atempsychologie mitnichten als eine Weiterführung der kulturkritischen Erzählungen der freudschen Psychoanalyse, der zvilisationskritischen Einpassungen der jungschen analytischen Psychologie sowie der gesellschaftskritischen Inspirationen der Individualpsycholoie sein kann. Sie würde geradezu die leibliche Unmittelbarkeit verfehlen, welche der me- thodisch erprobte Grund der westlichen Atemarbeit ist. Diese hat nämlich eine Ebene des Zwischens, näm- lich dorthin, wo die Atembewegung ihre Animalogie als Resonanzereignis offenbart.

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