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Atemzugänge in der Gruppenarbeit

[Westliche Atemlehren] [Atembehandlung] [Bewegungsarbeit] [Arbeit mit dem Laut]

I n h a l t

Grenzen und Möglichkeiten
Jenseits der Sprache - Der Gravitationsbezug - Das personale Maß -
 Erfahrbarer Atem als gesammelte Atemweise - Innerlich beteiligt sein - Empfindungsschwäche - Sammlungsschwäche
Übungsanlage im Beginn
Der Auftakt - Was das Thema orientiert - Unterschiedliche Wirkungen einfacher Arbeitsweisen -
In der Gelenkarbeit angelegte Sinnentfaltung - Energetische Korrespondenzen - Körper und Leib - Gelenke und sensorischer Raumaufbau - Der leibliche Charakter des mittleren Atemraums - Nach außen geht das im Innen Aktivierte
 Atemgestalt Positionierung
 Unterscheidungen und Verbindungen - Der Handlungskreis - Personale ntfaltung energetischer Korrespondenzen - Aufsteigende Ausatembewegung - Aus der Raumweitung in die Aufrichtung - Varianten - Statisches und Dynamisches - Positionierung und Zentrierung - Jenseits der dualistischen Trennungen

 

 

 

Grenzen und Möglichkeiten

Jenseits der Sprache
Wie könnte eine Gruppenstunde vorgestellt werden, in denen erste Grundlagen für die Atemarbeit geschaf- fen und zur Erfahrung der Atembewegung hingeführt wird, wenngleich in einem solchen Bericht die präkog- nitive und präverbale Tiefe der Leiblichkeit, in welcher Atemerfahrungen wurzeln, also das, auf was es an- kommt, fast nicht dem Wort zugänglich ist? Wie könnte der Sinn von Übungen durchsichtig gemacht wer- den, in denen begonnen wird, den eigenen Leib  nach der Grundformel Atmen - Empfinden -Sammeln zu erschließen, was jedoch unabdingbar die Selbsterfahrung in der Form ihrer größten Vereinzelung verlangt, weil nämlich das Empfindungserlebnis der Atembewegung  im  Prinzip unkommunizierbar bleiben muss, weil es durch Worte nur beschränkt einzuholen ist? Und wie kann in einer Darstellung der unterhalb der wahrnehmenden Kognition liegende sinnliche Sinn einer Arbeitsweise berührt werden, ohne dass die pathische Verarbeitung des vom Atemlehrer situativ entworfenen Bewegungsbildes möglich ist, durch die der Atemschüler in eine das Üben tragende Resonanzbeziehung gesetzt ist,?

Die Fragen verweisen auf Grenzen, wegen denen unsere Schilderung von vorn herein nicht als eine Anleitung zum Atemexerzitium verstanden werden will. Wegen ihnen besteht in den Kreisen der Middendorfatemlehrer eine berechtigte Scheu davor, „Atemübungen“ zum Nachmachen für ein breiteres Publikum aufzuschreiben. Der personale und sinnhafte Charakter der Arbeit ginge nämlich selbst in der besten Darstellung von Übungsabfolgen unweigerlich abhanden. Die Übungen wären nur in zweckhafter Bedeutung vorgestellt. Und in der Tat finden wir viele ursprünglich von Ilse Middendorf entwickelte Arbeitsweisen, die dazu dienen, die Atembewegung in einer gestalthaften Weise der Vollatembewegung auszudifferenzieren, in allerlei Be- reichen angewandt. Sie dienen dann einer Energiearbeit oder irgend einer der vielen heutzutage angebo- tenen physiotherapeutischen Hilfen.

Das Probem ist jedoch nicht nur, dass die komplexe Stimmigkeit einer Übungsentfaltung, die vor allem darauf beruht, den Leib ungebrochen durch das wahrnehmende und willkürliche Ich reden lassen will, über die schriftliche Sprache nur reduktiv berührt werden kann. Vielmehr würde eine schriftliche und selbst bild- hafte Anleitung zur Ausführung einer Übung den Willensaspekt in der sensitiven Bewegung verstärken, was der Lösungsabsicht im beschaulichen, langsamen und wiederholten Ausführen entgegenlaufen würde. Es würde durch die nichtpersönliche Mitteilung die Gefahr entsehen, Eindrücke zu schaffen, die das Wesen der Sache, nämlich den Erfüllungscharakter der empfundenen Atembewegung, geradezu verstellen. Nahezu unweigerlich würden wir beim technischen Ausführen von Bewegungsvollzügen landen, wodurch mitnichten einzulösen ist, worauf es eigentlich ankommt: Das spürsam-empfindende Einlassen auf die eigene Leiblich- keit kommt nur aus dem Eindruck der gelösten Erfahrung zu.

Um nach der Atemlehre von Ilse Middendorf zu arbeiten, bedarf es der nachhaltigen Begleitung durch den versierten Atemlehrer, dessen Zeigen leiblich beim Atemschüler ankommt. Wegen dieser Resonanzgrund- lage der middendorfschen Praxis kann ein Bewegungsvollzug ohne zu überlegen ausgeführt werden. Indem der Atemlehrer eine Arbeitsweise anbietet, kann der Atemschüler schauen und eine dargestellte Bewegung als Ganzes aufnehmen, um sich durch das pathisch aufgenommene Bewegungsbild für das Ausprobieren einer eigenen Bewegung anregen zu lassen. So gewinnt er die Chance, sich den eigenen Bewegungsimpul- sen zu überlassen, weil er sich zur Mimese der vom Atemlehrer gezeigten Bewegung „animiert“ fühlt.  

Unsere Ausführungen zu Übungen sollen  nur benennen, aber vor allem  im Interesser eine Leibpädagogik durchsichtig machen, wie etwa mit dem Erfahrbaren Atem von Ilse Middendorf gearbeitet werden kann. ILse Middendorf hat das, was sie als vortheoretisches Erfahrungsgebiet erschlossen hat, als Lehre weiterge- geben. Der theoretische Eingriff modifiziert diese bereits. Er sprengt die ritualisiert festgelegten Begren- zungen auf, die jede Lehre einschwört. Der Atem kann zum Gegenstand der kritischen Auseinanderset- zung und der sozialen Kooperation werden. Erst dann geht es um den anderen und nicht mehr nur um den Atem..

 

Der Gravitationsbezug
Gegenüber den vielen heutzutage bekannten Körperarbeiten, die auf dem Boden liegend arbeiten, ist zu- nächst auffallend, dass beim Erfahrbaren Atem von Ilse Middendorf in aufgerichteter Haltung auf einem Hocker gesessen  und davon ausgehend auch im Stehen gearbeitet wird, je weiter das Üben fortschreitet und der Leib durchlässiger für die Atembewegung geworden ist.. Der Hocker wird zum Sinnbild eines Anliegens, das durch alle Arbeitsschritte hindurch erinnert, dass die Person in der sensorischen Ver- flechtung ihrer Binnenrealität mit dem Außenraum physikalisch an Schwerkraftreize gebunden ist. Leiblich an der Atembewegung zu arbeiten, bedeutet eine personale Mitte im unmittelbaren Sinnesraum zu finden. Diesen muss sich jeder Mensch in der vital-sensorischen Verschränkung von Innenwelt ujnd Außenwelt als eigene und gemeinsame Sphäre mit anderen schaffen, indem er sich zunächst in die vorgefundene einfügt, um sie schließlich mit von ihm als Person akzentuierten Beiträgen, ja selbst passiv anmutenden. jedoch wirksamen Haltungen unumgestaltet.

Verdeutlichen wir die Schwerkraftthematik am gravierenden Unterschied zwischen dem normalen Sitzen und dem Lotussitz. Die Aufrichtung in dieser aus dem ostasiatischen Kulturkreis herrührenden Meditationsform wird qua Sitz geradezu erzwungen. Denn bei diesem ist der Schwerpunkt in den Beckenboden abgesenkt. Dagegen ist beim Sitzen auf dem Hocker oder noch mehr beim stehenden Arbeiten die Aufrichtung von vornherein eine personale Haltungsleistung. Das Liegen schließlich ist von jeglicher Behauptung der Auf- richtung gegenüber der Schwer- und Fliehkraft entlastet, wodurch die mit der Zwerchfellbewegung gege- benen Haltereflexe überhaupt nicht gefordert werden, deren optimale Entfaltung einer Vollatembewegung zugehörig ist. Durch das Üben in einer aufgerichteten Position entwickelt sich die wachste Spannkraft, durch welche hindurch erst die Atembewegung den Reichtum ihrer Formen gewinnen kann. Denn die Ent- faltung der beiden anthropologischen Grundbegebenheiten der Atembewegung, Raum und Richtung, sind nicht nur an die vertikale Bedingtheit des Lebens, sondern auch an die horizontale Abart der Gravitation, nämlich die Fliehkraft gebunden .

Das zunächst nebensächlich Anmutende zählt. Die Höhe des Hocker sollte dem Übenden angepasst sein. Dieser darf nämlich nicht zu tief sitzen, denn seine Leisten sollen beim Platz nehmen geöffnet bleiben und nicht eingepresst werden. Der Hocker darf jedoch auch nicht zuviel Höhe geben. Denn die Füße sollen am Boden haften, damit sich die Person von den beiden Schwerkraftebene ausgeglichen tragen lassen kann. Ein zu emporragendes Sitzen würde die Füße von der Erdkraftbindung wegziehen. Erst eine individuell gerechte Sitzhöhe gestattet, das Körpergewicht auf diesen beiden Ebenen, Boden und Hocker, gleichmäßig abzugeben, um eine optimale Spannungsver- teilung der Muskulatur im Sitzen zu erzielen.

Eine angemessene Sitzhöhe fördert außerdem das gute Aufgerichtet-sein. Sitzt der Übende zu tief, sinkt der Schultergürtel ein, das Brustbein wird eingedrückt und infolgedessen den Rippen die Möglichkeit einer weiten Aufdehnung genommen. Auch das Zwerchfell wird dadurch tiefer gestellt wird. Kurzum: Die Atembe- wegung staut sich leicht im Becken auf. Dem In-sich-Zusammensinken folgt eine durch die lahme Atembe- wegung aufrechterhaltene Untertonisierung der Muskulatur. Diese Halltung dämpft die Wachheit und blendet die Aufmerksamkeit in den Raum ab.

Umgekehrt wird beim Zu-hoch-sitzen nicht nur die erdende Vitalitäts- verankerung der Atembewegung im Becken und den Beinen gelockert. Wird deshalb in sich hineingesunken gesessen, wird dies durch Fest- haltungen im Beckenboden kompensiert. Die Vitalkraft wird eingeschlossen. Die Atembewegung jedoch beim bemühten Aufrichten einen überenergetisierenden Zug vom Kopf her. Die Bindung an die Vitalkraft geht verloren. Das Brustbein ist zu weit vorgehalten und ebenfalls unbeweglich. Nun aber leidet die varianten- reiche Aufdehnung des Brustkorbes deshalb, weil das Zwerchfell nicht genü- gend nach unten ausschwin- gen kann und der Brustkorb durch die Einatemhilfsmuskulatur im Schultergürtel gezogen wird. Die Wachheit wird tendenziell euphorisiert und die Aufmerksamkeit überheblich, angestrengt konzentriert.

 

Das personale Maß
Die Grundformel des Erfahrbaren Atems, die ein inneres Gleichgewicht zwischen Atmen-Empfinden-Sam- meln meint, ist als personales Geschehen einzulösen, indem im  Innenwelt und Außenwelt verschränken- den Sinnenraums die Mitte gesucht wird. Dieser leibliche Grund der Seele, der ein Reich der Unwillkürl- ichkeit darstellt, das dem Ich unverfügbar ist, soll geordnet werden. Das Seelische birgt selbstverständlich auch die Imperative der Kultur und der Gesellschaft., die leiblichen wirken, weil sie in den Atemformen, verpflichtet sind..

Alle Schwierigkeiten, die der Umgang mit dem Atem mit sich bringt, der eigentlich einfach anzugehen ist, begründen sich darin, dass die Atembewegung durch die Selbstzuwendung erneut gestört werden kann.  Damit der Eigenrhythmus des Übenden frei wird, ist eine passiv-geduldige, hingebend-achtsame Anwe- senheit verlangt, die durch keinen verbalen Dirigismus des Atemlehrers gestört werden darf. Dieser bietet stattdessen Hilfen, deren Charakter partnerschaftlich gemeint ist und sich im Mitgehen mit dem anderen bewährt.

Der Atemschüler hat also keinem vorgehaltenen, allgemein verkündeten Ziel zu folgen. Die paternalistische Anordnung hat im Erfahrbaren Atem keinen Platz. Der Übende soll die Verfügung über sich behalten, denn nur dann vermag er sich als Person in sein Atemgeschehen hineinzugeben. Da ein erlebender Anschluss an deren unwillkürlichen Potentiale der Existenz gesucht wird, ergeben sich für die middendorfsche Arbeit am Atem außergewöhnliche Bedingungen eines zwar behutsamen, aber außergewöhnlich klaren Verhaltens.

Der methodisch konsolidierte Übungsweg des Erfahrbaren Atems von Ilse Middendorf antwortet auf das Pro- blem der Störanfälligkeit der Atembewegung. Diese reagiert auf jeden Einfluss und Eindruck, dass es schier unmöglich erscheint, sie nicht durch das Bewusstsein selbst wieder zu beeinflussen, geschweige denn ihre Selbstbewegung bei voller Präsenz der Person freizusetzen. Aber erst deren Erleben erweist dem Transzen- denzcharakter des Atems seine Referenz.

Der Übende ist aufgefordert, sein eigenes Maß in Dauer und Rhythmik sowie in der raumausgreifenden Grö- ße seiner Bewegung herauszufinden. Er soll ausprobieren, ohne dass ein beherrschter Übungsablauf die Oberhand gewinnt, der einer zweckhaften Körpertechnik zugehörig wäre. Mit einer Technik müsste man diszipliniert und vielleicht mit automatisierten Handlungsweisen oder Griffen umgehen. Eine Erfahrung jedoch kann man  nur zulassen.

Die gemachte Erfahrung im Sinne des Habens interessiert. ebenso wenig. Denn eine solche hat keinerlei existentielle Bedeutung. Diese gewinnen Atemerfahrungen, soweit sie eine Erfahrung des Widerfahrens sind. Aufgegeben ist stattdessen, die Bewegung des Atems in seinen Empfindungswiderständen und wie jene diese auflöst zu erleben.

Dass eine Übung weder richtig noch falsch ausgeführt werden kann, ist bereits eine große Zumutung für denjenigen, der sich selbst, damit seiner Werte bindenden Leiblichkeit fremd ist. In dessen Verhalten zeigt sich demnach keine Atemsubstanz seiner Person. Ein solcher Mensch wird allzuleicht übersehen, weil er sich nicht zeigt.

Das hochgesteckte Ziel der middendorfschen Atemerfahrung verpflichtet eine Abfolge von etwa fünf bis sie- ben Übungen, die am bestn in einer Gruppe geübt werden. Diese ist durch Pausen zu unterbrechen, nach- dem der Wirkung jeder einzelnen Arbeitsweise nachgespürt wurde. Also nach diesem Nachspüren, in der sich erst das durch etwa eine sensitive Bewegung angeregte Entwickelt, ist außerdem noch auszuruhen. Dann wird der Einzelne wird aus der Aufmerksamkeit zu sich selbst, der Gruppe und dem Atemlehrer ent- lassen. Es wird also keineswegs die Stunde an einem Stück durch Übungen hindurch geführt.

Pausen geben dem Übenden die Möglichkeit zur Abstandsnahme von der erfüllenden Intensität der Atem- erfahrung. Indem sich der Übende Ruhe gönnt, unterbricht er das in die Atembewegung hineingehende Eigenerleben und hält gegenüber den Außeneinflüssen persönliche Distanz. Er entlässt sich aus der Un- mittelbarkeit der Beziehung zum Atemlehrer .Überhaupt  setzt sich auch darin das Prinzip des Unter- scheidens durch, das zunächst vorherrschend ist. Aus diesem soll schließlich in der Partnerarbeit und der Bewegung aus dem Atem das Verbindende zum anderen hervorgehen.

Sensitiv ausgeführte Bewegungen, Kreisungen, Federungen und Schwingungen, passive Dehnungen und Druckhaltungen, sind zunächst eine Angelegenheit des Ichs. Das Ich lauscht der Rückstoßwirkung der von ihm selbst in Gang gesetzten Motorik in die Sensorik nach, um diesen willkürlichen Akt in die empfundenen Spannungsbedingungen der Muskulatur einzupassen. Dabei findet ein ständiger Übergang des Körperha- bens zum Leibsein statt, durch den die Atembewegung in ihre Rechte eingesetzt wird. Diese Tätigkeit des Ichs wird dann im Nachspüren durch das Erleben der Person abgelöst.

 

Erfahrbarer Atem als gesammelte Atemweise
Zunächst mobilisieren Bewegungen den Atem von außen. Die Bewegungsreize, die passive Dehnung und deren Abart der Druck, rufen zwangsläufig Atem hervor. Das beschauliche, langsame und wiederholte Aus- führen von Bewegungen – der gemeinsame Kern vieler sensitiver Körper- und Atemarbeiten (Konzentrative Bewegungstherapie, Feldenkrais-Bewegung, Tai Ch’i) – löst darüber hinaus einzelne Muskelpartien, hebt Unterspannungen in diesen an und gleicht die Grundspannung aus.

Als peripheres Ereignis ohne Beteiligung des Gehirns entfalten sich Lösungen durch die Dehnungsvorgänge der Eigenreflexe oder den Druck auf die Spannungsreflexe der Sehnen, wodurch sich der Muskeltonus und die Empfindlichkeit der Muskelsinne modifizieren. Durch die empfindende Rücksicht des Ichs auf seinen leiblichen Grund bahnt die sensitive Bewegung der Atembewegung den Weg. Sie kann über die freiwerden- den Lösungsimpulse schließlich die Chance erhalten, sich selbsttätig von innen her zu entwickeln. Der sinn- lich wertenden Sprache des Leibseins, dem unwillkürlichen Atemfluss, wird das Recht zum Reden einge- räumt.

Wegen des ungewohnten Bewegungsvorgang, der in der middendorfschen Übungsweise auf Lösungen der Muskulatur abzielt, werden Erregungen lebendig, Empfindungen prägnant und Stimmungen verändert. Diese Veränderungen im Sinnesraum durch sensitive Bewegungensübungen halten über die Zeitspanne von deren Ausführung hinaus an. Wir haben wegen dieses Anhaltens einer Erregung nicht nur die Möglichkeit des erin- nernden Nachlauschens oder Nachempfindens. Vielmehr ist es der Person im Nachspüren möglich, dem freiwedenden Atemfluss als Selbstbewegung zu begegnen. Erst in dieser Aufgabe setzt die eigentliche personale Sammlungsleistung ein.

Die Selbstbewegung des Atems kann nur zugelassen werden, wenn das Bewusstseins mit seinem Willen und seinen Einstellungen sowie seinen Maßstäben und seinen Werten zugunsten des Erleben zurück zu treten vermag und das Ich durch die Atembewegung eingeschlossen wird. Damit die Selbstbewegung des Atems aber auch den Raum zur Entwicklung erhält, sich ohne Einmischung einer körpergeführten Ichtätig- keit und nämlich bei gleichzeitiger Anwesenheit der Person in seiner Innenkraft - oder besser als unbekann- tes und immerzu unbekannt bleibendes, durch keine Hermeneutik auflösbares Inneres - zu entfalten, ist nach jeder Arbeit absichtslos nachzuspüren.

Das intensive Nachspüren ist also ebenso wichtig ist wie die Ausführung der Übungsweise selbst. Dies macht uns auf die Besonderheit der middendorfschen Lehre des Erfahrbaren Atems gegenüber sonstigen sensitiven Körper- und Leibarbeiten aufmerksam, die nur ein Empfindungsbewusstsein kennen und die nicht zwischen Empfindung und Sammlung unterscheiden. Erst im Zusammenspiel dieser Differenz kann jene transzendente Tiefe angesprochen werden, welche der Atembewegung zugehörig ist. Erst die vorstellungs- lose pur erlebernde Anwesenheit des Übenden in der im endogen eingeschriebenen Eigenrhythmus frei- werdenden Atembewegung lässt diese zu einer personalen Kraft werden.

Diesem Ziel dient nicht nur das Übungsensemble der middendorfschen Arbeit mit der sensitiven Bewegung. Dem Erleben des Innenraumes durch einen unwillkürlichen Atemfluss dient zudem die Vokalraumarbeit. Und die Arbeit mit einer weiteren anthropologischen Grundbegebenheit, der Hand nämlich, zielt bei gedanken- leerer Präsenz sogar auf die Begegnung der Person des Behandeltem und des Behandlers ab, die durch den unwillkürlichen Atemfluss getragen wird. Der Personenbezug lebt jeodh von der Sammlung. Der endogen eingeschriebene, also ureigene Rhythmus kann nur freigesetzt werden, wenn sich nicht das Bewusstsein einmischt, wodurch die Ich-Aktivitäten durch das Erleben der Atembewegung aufgehoben sind.

Aus dieser Sicht ist nicht nur die willkürtechnisch durch das Ich hervorgerufene Atembewegung und der unwillkürliche Atemfluss zu unterscheiden. Letzterer bleib im Alltagsverhalten überhaupt außerhalb der Wahrnehmung und bei vielen Körpererfahrungen steht er zurecht am Rande, weil eine einfache Fokusierung auf die Atembewegung diese eher stört als belebt. Wegen der Differenz zwischen Empfindung und Sammlung kann von  von einer eigenständigen dritten Atemform gesprochen werden. Denn diese ist nicht nur selbstempfunden, sondern wird als eine gesammelte Atemweise freigesetzt. Deren Bezeichnung ist zum Namen der middendorfschen Atemlehre geworden: Erfahrbarer Atem,. 


Innerlich beteiligt sein
Den Anfänger orientiert der gut ausgebildete Atemlehrer meist noch nicht auf das Erleben der Atembewe- gung. In der ersten Stunde fällt eher die aufdringliche Tätigkeit des Zwerchfells als die feinere Lösungs- erregung der in der Muskulatur fließenden Atembewegung auf. Nimmt der Ungeübte gar vordringlich die Lungenweitung und das sich absenkenden Zwerchfells wahr, ist er allzu leicht verleidet, unabsichtlich ins Atemgeschehen einzugreifen. Deshalb genügt es, wenn die Atembewegung als eine unspezifische Leben- digkeit in den verschiedenen Leibpartien erfahren wird, ohne dass diese gleich als solche in ihrer rhyth- mischen Qualität identifiziert werden muss.

Wenn etwa mit Kranken gearbeitet wird, sollte das Wort Atem  lange Zeit gar nicht fallen. Dieser Hinweis soll genügen, dass zwar mit Hilfe des Erfahrbaren Atems Funktionsstörungen überwunden und das Krank- sein besser bewältigt werden kann, aber die methodische Vorgehensweise der middendorfschen Atemlehre nicht in den Bedürfnissen der Klinik wurzelt, vielmehr die schöpferischen Potentiale eines Menschen interessiert.

Der Atembewegung zu begegnen, verlangt zunächst, sich den mit ihr gegebenen Empfindungen zu stellen. Diese personale Leistung setzt damit ein, dass Übungen nicht mechanisch, sondern mit innerlichem Betei- ligt-sein ausgeführt werden. Der Atemschüler beginnt zu erleben, was sein Leib sagt, wie stark er gedehnt werden will, ob eine große oder kleine, schnelle oder langsame Bewegung angemessen ist. Wir haben bereits genannt, wovon diese Aktivität des empfindenden Selbsteinschmiegens in die Bewegung lebt, die deshalb sensitiv ist: Vom Rückstoß der Motorik in die Sensorik.

Durch das “Anwesen” (Martin Heidegger) der Person in Hingabe und Achtsamkeit an den Atemleib, wird zunächst die Distanz des Ichs zum eigenen Leibe aufgehoben, die das normale Handeln verlangt, weil bei diesem die Sinne nach außen, auf eine Sache oder Person gerichtet sein müssen. Denn es gelingt im Handeln gerade dann etwas am besten, wenn man sich weder selbst spürt noch ungebrochen durch das Bewusstsein in der Welt aufgeht. Das spürende Einpassen des zweckhaften Körpergebrauchs in das sinnhafte Geschehen des Leibes geschieht demgemäß in einer besonderen pädagogisch-therapeutischen Beziehung. In ihr wird eine “phänomenale Situation” (Edmund Husserl) geschaffen, die zum Atemleib keine distanzierenden Bewusstseinsaktivitäten des Ichs mehr kennt . weil das sich ihm gegenüberstellende kognitive Werten, das Verstehen, Interpretieren und Selbstbeobachten gelassen wird.

Indem die Tätigkeit des Bewusstseins durch das pure Erleben aufgehoben wird, können sich Unlust hervor- rufende Spannung melden. Es kann dann nicht mehr über sie hinweggegangen werden. Unbewusste Span- nungen werden aber aufrechterhalten, wenn unbeabsichtigt in den Atemrhythmus eingegriffen wird. Fehlt die personale Haltung in der Sammlung, wird der Leib lediglich als körperlicher Gegenstand betrachtet. Miss- empfindungen und Missstimmungen werden nicht als eigene angenommen bzw. durch Überachtsamkeit unterdrückt, wodurch der Atem fester wird. Oder die Person wird vom Leib abgespalten, weil das Ich von der Empfindung weggeht. Empfindungslosigkeit begleitet heutzutage die narzisstischen Störungen der Hochqualifizierten. Wir sehen sie mit durch kunststoffhaltige Zahnmaterialien bei Empfindsameren hervorgerufen. (vgl hierzu die Rubriken  Zähne und Heilhindernisse unter Atem und Information sowie die Buchbesprechung  “Atem - Tonus -Ton. Stimme von Kopf bis Fuß” (Maria Höller-Zangenfeind) und die Buchvorstellung “Runinöse Zahnwerkstoffe” (Markus Fußer) unter Bücher/Rezensionen.

Man kann jahrelang am Atem unversiert herumüben und dabei in der Selbstbeobachtung erstarren und seine Empfindungsdifferenzen nivelieren und auch dadurch im Verfallensein oder gar der Krankheit enden. Wegen der Innerlichkeitsthematik der Sammlung kann man diese Arbeit auch nicht einmal nur ausprobieren wollen. Mit der Haltung des Unbeteiligt-seins erfährt man nichts. Jeden- falls nicht mehr als das, was man bereits weiß, weil der Erfahrung das Widerfahren durch die Atembewegung fehlt.

Schwierigkeiten, sich in Atemerfahrungen mit ihrer Person einzulassen, haben oftmals Sportler und sonstige Körperertüchtigte, die gegen abweichende Erregungsfähigkeit gestählt sind. Sie spüren oftmals zuwenig, wie es übrigens auch dem Meditationsgeübten wegen einer Sensibilisierung und dem Fehlen einer motori- schen Praxis geschieht. Auch in Yoga- und Atemtechniken Geübte haben mit mit dem in der Middendorf- Atemarbeit gepflegten personal betulichen Zugehen auf den eigenen Leib Schwierigkeiten. Um die äußere Welt im Interesse einer geistigen Reinigung abfallen zu lassen, gehen Yoga- und Meditationspraktiken mit ihrem Körper instrumentell um, halten die extremsten Körperhaltungen mit dem Willen durch und führen den Atem technisch. In dieser zweckmäßigen Übungsweise steht das körperbewusste Ich vor dem personen- haften Leib-sein.

Das Leib-sein wird bei eutoner Haltung in der Alltagsbewältigung mit dem Körperhaben passend verschränkt sein. Dann können die in der gewöhnlichen Bewegung potentiell mitlaufenden Lösungsprozesse zu ihrem Recht kommen. Lösungen finden bei optimaler Tonisierung auf der Rückseite der muskulären Kontrakt- ionen statt. Sie werden - wohlgemerkt nur bei einer dem jeweiligen Tun und Lassen angemessen oder gerechten Spannung (Eutonie) - durch die passiven Dehnungen der Muskulatur oder durch den stattfindenden Druck auf die Sehnen ausgelöst, wodurch die Atembewegung lebendiger Fließen kann. Die Energie wird dadurch erzeugt und nicht verbraucht. Besonders der guter Kontakt mit dem anderen macht lebendig und man kann sogar zugespitzt sagen, dass dieser die eigentliche Quelle der Energie ist..

 

Empfindungsschwäche
Ist der Leib durch einen erhöhten Gesamttonus eingefroren, könnte es dem wahrnehmenden Ich zunächst viele Mühe abverlangen, dem lebendig Gewordenen nachzuhorchen. Denn bei Vorhandensein eines habitu- ellen Abwehrtonus beginnt sich das Weggedrückte und das Stillgestellte diffus zu melden: Vegetative Organreize werden vordringlich, die Unruhe der Spannungsmodulation treiben ins unbewusste Abtauchen, aufkommende Gedanken lassen die Sammlung zerbrechen und selbst einfache Tagesbelastungen werden seelisch virulent. Wir sprache es bereits an: Es können bei dieser Verfasstheit zahnärztliche Werkstoffe beteiligt sein.

Krebskranke etwa, deren Tonus in einer Mittellage erstarrt ist und deren Atermbewegung fast nur vegetativen Bedürfnissen dient, wodurch die Emotionen reduziert werden, die Affekte unter Kontrolle bleiben und das Verhalten gegenüber dem anderen zuwendungsunfähig ist, und die aktive Zuwendung allzuleicht ins Be- mächtigen abgleitet, spüren lange Zeit kaum ihre Atembewegung. Ihnen ist in der Atemerfahrung die Aufga- be gestellt, dieser Leere in der Unfähigkeit, vital empfangen zu können, begegnen.

Und wer unfähig ist, unmittelbar mit seiner Person in der Existenz aufzugehen, lernt durch die Atemerfa- hrung, auf den distanzierenden Bewusstseinsakt zwischen seinem Tun und seiner Welt zu verzichten. Das handlungsführende Ich bekommt einen Rückhalt durch die leiblich gebundenen Wertigkeiten der Person verliehen, die nun unbewusst die Regie des Ichs führen. Dem ständigen Bewerten und Interpretieren liegt häufig ein habitueller Fluchttonus zugrunde. Es verdankt sich außerdem dem Mangel, stumm in den Hintergrund mit seinem unbefragten Selbstverständlichen hineinzuleben.

Auch der Asthmatiker und andere an den Bronchien Erkrankte leiden unter einer Empfindungsschwäche, weil bei ihnen ist die sensorische Ausdehnung wegen des überdehnten Brustkorb starr gestellt ist. Sie haben es deshalb schwer, etwas passiv auf sich wirken zu lassen. Asthmatiker können kaum ihre sensori- sche Außenausrichtung aufgeben. Und Emphysmiker meinen, sich immer bewähren zu müssen. Beide Verhaltensweisen sind der beabsichtigten Verinnerlichung des Selbsterlebens krass entgegen gesetzt.

Besonders den Asthmatiker hält man am besten von der Arbeit in einer Gruppe fern. Es fällt ihm besonders bei gleichzeitiger Anwesenheit anderer sehr schwer, sich nach innen zu wenden. Andere Gruppenmitglieder aktivieren beim Asthmatiker ein aufdringliches Greif- und Klammerverhalten gegenüber der Leitung. Der Asthmatiker gerät beim Atmen in der Gruppe allzu leicht in Stress. Dadurch wird sein Hochatem forciert, was in einen Anfall eskalieren kann.

Mit Asthmatikern beginnt man mit Einzelarbeit, man behandelt ihn am besten und führt ihn behutsam in die übenden Arbeitsweisen ein. Vielleicht ist wegen der dem Asthma zugehörigen Mutterkonfliktproblematik eine versierte  Frau die für ihn beste Atemlehrerin. Asthmatiker führen Übungen zwar brav aus, bleiben jedoch in ihrer gewissenhaften Pflichterfüllung des Gebotenen mechanisch. Im mühsamen Wiedergewinnen der Person durch die Erfüllungspotenzen der Verinnerlichung, setzt die eigentliche Bedeutung der Atemer- fahrung für den Asthmatiker ein. Das Beste ist deshalb, beim Asthmatiker zunächst sehr dicht mit Atembe- handlungen zu beginnen. Die vital-pathische Einschmiegsamkeit der Hände einer Atemlehrerin, deren sensorische Präsenz und deren Angebot, einen gemeinsamen Gefühlsraum zu bewohnen, können am Besten dieses tiefe Defizit der Innenanbindung kompensieren. Der Asthmatiker wird auf seine Innenkraft aufmerksam, an die sein Verhal- ten die Bindung wegen seiner Brustkorbstarre verloren hat.

 

Sammlungsschwäche
Bei den meisten Kranken ist die Sammlungspräsenz gestört. Die Selbstzuwendung wird leicht durch über- flutende Gedanken beherrscht. Je mehr beim Kranken die Verfügbarkeit und Brauchbarkeit des Körpers eingeschränkt ist, desto schwieriger wird es ihm, im Verhalten eine Ungebrochenheit durchs Bewusstsein zu leben..Da die Grundspannung des Kranken meist herabgesetzt ist, kann die selbstempfindende Anwesenheit an der Atembewegung nicht von vornherein gelingen.

Dem Kranken fehlt  „die ursprüngliche Gerichtetheit auf die menschliche Welt“ (Frederik Buytendijk), die dem gesunden Wohlbefinden zugehörig ist. Jede intentionale Gerichtetheit, sei es in der Selbstzuwendung, sei es im Handeln und Verhalten - wird ständig durch das eigene Missbefinden, das Zurückgeworfensein auf das Leidende im Leib gebrochen. Beeinträchtigt ist die sensorische Ausdehnung, vermittels der eine unge- zwungene Atmosphäre mit anderen Menschen konstitutiert wird. Wegen dieses Mangels im „In-der-Welt- sein“ erlebt der Kranke, wie er in seinem Verhalten gegenüber dem anderen und der Umgebung und der Welt ständig verfremdet wird

So kann die Gruppenarbeit für den Kranken zunächst kontraproduktiv sein, wenn es misslingt, diesen sphä- risch aufzunehmen. Es bedarf besondern Fingerspitzengefühls, um den Kranken als konkrete Person in der individuellen Horizontbildung innerhalb einer therapeutischen Situation zu unterstützen. Wenn sie sich durch ihren leiblichen Habitus als leidenden in einer Gruppe isoliert vorkommen, werden sie ihr Programm des Zurückgeworfen-seins auf sich selbst einschalten. Mit dem Kranken sollte deshalb zunächst individuell und am besten in einer Gruppe gearbeitet werden, die sich einem ähnlichen Leiden annimmt. Es sollten mit ihm zusammen die passenden Übungen gesucht werden, die vor allem danach qualifiziert sein sollten, dass ein Spürverhalten in den Außenraum wiedergewonnen wird, um sensorisch über sich hinaus leben zu können.

Spüren wir uns dauernd selbst, liegt eine spannungslose Überempfindlichkeit vor, die oft mit einer Hand- lungsunfähigkeit und einem amorphen Missbehagen einhergeht. Der inzwischen weitverbreitete Kult des Verweilens in inneren Stimmungen, Bildern und Emotionen ist einem Rückzug von der Außenwelt gestun- det. Bei anhaltender Selbstbeobachtung öffnet sich das Feld der Selbstsuggestion. Das unbewusste In- nenleben aktiviert sich und fixiert seine projektive Gedankenwelt schließlich in geweblichen Spannungs- zuständen. Die Empfindung entdifferenziert sich und wird zur Selbstbeobachtung. Die Sinne überflutet ein Kopfrauschen mit tendenziell unabschließbaren Gedanken. Es entstehen Wahrnehmungszirkel zwischen Gedanken und Empfindung, eine Begleiterscheinung der lavierten und manifesten Depression.

Selbstredend meint der middendorfsche Erfahrbare Atem kein solches Abgleiten der Empfindungsfähigkeit ins erstarrende und krankhafte Selbstbeobachten, bei dem die Wahrnehmung der Realität durch Phantas- men überlagert wird. Vielmehr will er das Ich stärken, indem die weitreichend unbewussten Eigenabläufe durch einen verbesserten Atemfluss in ihr Recht eingesetzt werden. Die Aktionen des Ich sollen einen per- sonengebundenen Widerhall im Leib erhalten, in der präkognitiv und präverbal wertenden Leiblichkeit abstützen wie wiederum der Leib mit seinen Bedürfnissen zu einer Stimme werden kann, die über ein drohendes oder eintretendes Missbefinden an das Ich appelliert.  

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Übungsanlage im Beginn

Der Auftakt
Eine Gruppenstunde wird mit dem genüsslichen Dehnen begonnen. Dessen Abart ist das Räkeln, das sich mancher gönnt, bevor er aus dem Bett steigt. Das Dehnen und das Räckeln ist eine gleitende Bewegung, wodurch die nervale Tätigkeit der Dehnungsrezeptoren (Muskelspindeln) angeregt wird. Die Atembewegung wird durch die feinen Bewegungsreize und durch das sanfte Ertasten des sensorischen Raums im Dehnen und Räckeln angeregt. Der Grundtonus wird in seine Mittellage einreguliert. Es entsteht eine Bereitschafts- haltung, die gegenüber einer unspezifischen Ruhhaltung angehoben und gegenüber angespannter Konzen- tration herabgesetzt ist. Dagegen wird beim Strecken und Recken die Muskulatur hart und das Einatmen angehalten.

Für das Dehnen gibt es keine vorgeschriebene Form. Meist beginnt der Übende beim Sitzen. Wenn es ihn damnach verlangt, kommt er schließlich ins Stehen, das einen weiteren Wachheitsschub durch das Hinaus- weiten in den Raum mit seinem sensorischen Hinausverlängern ermöglicht. Der Übende kann dabei bereits lernen, sich seinen von Innen kommenden Impulsen zu überlassen. Denn der Leib meldet, wie und wo er gedehnt werden will, also das Bedürfnis nach Lösung hat, die durch den Fluss der Atembewegung in ge- dehnten Muskelketten hervorgerufen wird. Es ist sich animalischen Weiten zu überlassen. Was dieses kreatürliche Dehnen sein kann, ist etwa bei einem Hund zu abzuschauen, der sich über den Rücken mit allen Vieren weitet.

Dem unabdingbaren Dehnen als Auftakt der Atemerfahrung folgt eine atemanregende Arbeit, die  als schwingende, und kreisende sowie dehnende, drückende und federnde Bewegung meist gymanastischen Charakter hat. Ebenfalls wie das Dehnen erfassen die atemanregenden Übungn den gesamten Leib, sprechen diesen aber spezifisch qualifiziert an, weil mit ihr bereits das Thema der Übungseinheit anklingt. Das Thema der darzustellenden Übungseinheit ist die Positionierung im vital-sensorischen Bewegungsraum. Wir sprechen von der Atemgestalt Positionierung.

Diese Atemgestalt betrifft die Möglichkeit des einfachen Daseins, wie es sich durch die eigene Schwerkraft tragen lässt. Ihr entspricht die Ausdehnung, wodurch wir die Welt in uns hereinnehmen und ein individuellen Horizont gewinnen. Denn die Ausdehnung ist nicht nur das Weitwerden des Innenraums, sondern auch ein sensorisches Hinaus-leben ber sich selbst. Damit wir uns nicht verlieren und die an die Schwerkraftbewäl- tigung gebundene Vitalität sichern, bedarf es des  Gegenhaltes in der  Positionierung:durch eine aufsteigen- de Aufatembewegung. Horizontbildung und Positionierung befähigen uns in ihrem Zusammenspiel, über- haupt zu etwas in der Lage zu sein. Muskeltonisch können wir auch vom Aufbau eines Lagetonus spre- chen..Anthropologisch gesehen bilden beide Atemgestalten den allgemeinen Grund für die Realisierung der “exzentrischen Positionalität” (Helmuth Plessner).

 

Was das Thema orientiert
Der Begriff Thema mag zunächst verwundern, weiß man doch, dass es bei der Atemarbeit wenig zu bespre- chen gibt. Und wer diese Arbeit selbst einmal ein Wochenende miterfahren hat, ist kaum geneigt, viel zu erzählen oder sich über sie intellektuell zu vergewissern. Zu tief sitzt ihr Erfüllungscharakter. Die empfinden- de Anwesenheit, die pure Sinneswahrnehmung der Atembewegung, gebietet deshalb Schweigen. Tatsäch- lich leitet den middendorfschen Übungsaufbau auch eine durch Erfahrungen erprobte Idee: Anfangs von Bewegungen, welche die Atembewegung spezifisch ausdifferenzieren, und später, wenn die Atembewegung sich qualitativ zu entwickeln beginnt, von Atemweisen, welche zur individuellen  Darstellung von Bewegun- gen. Gesten und Gebärden drängen und den persönlichen Ausdruck in der Stimme freigeben.

Die thematische Idee einer Übungseinheit nach der Lehre des Erfahrbaren Atems ist durch die biologische Strebung zur Vollatembewegung fundiert. Sie wird von der in den Übungssequenzen angelegten Tendenz getragen, eine Ganzheit einzulösen, die sich nur in verschiedenen Gestalten zeigt. Dem Leib ist deshalb der thematische Ausdruck zugehörig, weil in ihm Intentionen verwirklich werden - sei es durch aktiv oder sei es durch passiv in den Raum hinaus wirkende Bewegungsformen. Intentionen realisieren sich jedoch nicht als unmittelbarer Willkürvollzug im körperlichem Handeln. Dieser bezweckt. Ihr Sinn vermittelt sich vielmehr über die leiblichen Befindlichkeitszustände, welche durch die Atembewegung differenziert werden. Die thematische Orientierung der Atemarbeit begründet innere Haltungen, die sich in Bewegungen umsetzen und dem Habitus, der Gefühlslage und der Affektivität sowie dem Willen und Gedanken eine spezielle Motiviertheit geben.

Wird die Idee des Themas einer Gruppenstunde durch Bewegungsarbeit eingelöst, schafft sich eine auch in der Bewegung sich zeigende und einlösende Sinngebung, wenn sich die Empfindung und die personale Sammlung gegenseitig im Atemstoff durchdringen. Indem Empfindung und Sammlung in der Atembewegung aufeinanderbezogen werden, kann der Atem ins unwillkürliche Fließen kommen, wodurch sich eine durch die Übungsanlage vorbreitete Atemgestalt formt. Dieser wohnt eine anthropologische Qualität inne. Da diese allen werthaften Dingen der Kultur vorhergeht, kann der Mensch in Konflikt mit in ihr vorgegebenen und durch soziale Gesellungs- und Machteinheiten präferiete Wertformen geraten und durch sein Gewissen zur Stellungsnahme und mutigen Entscheidung aufgefordert sein.

Da die Atemgestalten außerdem den informatorischen Einflüssen auf dem leiblichen Resonanzweg vor- gelagert sind, stellt ihr Aufbau ein Immunsystem zur Aufrechterhaltung der inneren Integration dar. Diese muss um so höher und differenzierter sein, je umfangreicher der Bewegungskreis der Kräfte ist, die durchs Handeln  ins Äußere hinaus gelagert und dort auf dem Resonanuzweg von fremden affektiert zu werden. Es ist eine Kongruenz von aufgebauter Atemgestalt und menschlicher Daseinsweise, welche die thematische Idee bestimmt. Es ist der Atemschüler, der im wahrsten Sinne der Kunst eine Atemgestalt schafft, indem er sich in Hingabe und Achtsamkeit seiner Atembewegung überlässt.

Da sich die thematische Formung der Atembewegung zu einer Atemgestalt erst durch die Sammlung des Atemschüler aufbaut, kann beim Üben deren anthropologischer Gehalt auch verfehlt werden Dann hat jedoch der Atemschüler weder etwas falsch noch widersinnig gemacht. Er konnte (noch) nicht seine Personen- bezogenheit im Kontakt zur Atembewegung realisieren. So hat er vielleicht nur etwas mit seinem Körper ge- macht oder mit seinen Leibesempfindungen gespielt, vielleicht in ihnen sich bestätigend geschwelgt. Oder es wurden beim Üben zu starke Widerstände aktiviert, denen noch nicht begegnet werden konnte. Wegen dieser Problematik des Lebendigen, die im Aufbau und Zerfall von Atemgestalten liegt, will Ilse Middendorf ihre Arbeitsweisen nicht als Übungen begriffen haben, die man macht, vorführt und ausführt. Auch aus diesem Grunde können unsere Darlegungen keine Übungsanleitung sein!

 

Unterschiedliche Wirkungen einfacher Arbeitsweisen
Eine atemanregende Eingangsarbeit für eine Gruppeneinheit, die das Thema Positionierung einleiten könnte, wäre das Federn. Es wirkt besonders auf die feinen Muskelenden um die Wirbelsäule, wodurch das Zwerch- fell gelockert wird. Überhaupt gleicht diese federnde Druckarbeit Gelenkspannungen aus. Es wird im Stehen gefedert. Das Federn ist auf den Punkt im Fuß ausgerichtet, der etwa unterhalb der Vorderzehballen liegt, und an dem bei einer guten Aufrichtung das Gewicht abgegeben wird. An dieser Stelle - die middendorfsche Atemerfahrung spricht von der Fußmitte - lässt sich auch der Fuße nach allen Seiten hin aufdehnen.

Bei dieser Arbeit sollen die Fuß-, Knie-, Hüft und Schultergelenke übereinander gelagert sein. Die Hüften können zu einem tragenden Gestell mit dem körperlichen Schwerpunkt im Becken werden, während das Knie beweglich bleibt. Durchgedrückte Knie wirken blockierend auf den Atemraum um das Zwerchfell und beeinträchtigen den leiblichen Rückhalt der Ichkräfte, weil sie die persönlichen Integrationen zwischen vertikaler Aufrichtung gegenüber der Erde und horizontaler Ausrichtungsdynamik im sensorischen Raum erstarren lassen. Es soll weder eine Spannung an der Vorderseite der Oberschenkel noch eine an der Rückseite der Unterschenkel sein. Der Rumpf soll so vom Becken getragen werden, das über standfest-bewegliche Beine gut „geerdet“ ist. Es soll also auch nicht im Knie gewippt werden. Dann entstünde beim Federn keine vertikale Stoßwirkung nach oben.

Das Federn ist ein leichtes Abheben der Fersen vom Boden. Nur ein Spalt zum Zwischenschieben eines Löschblattes soll beim Federn geöffnet werden, so dass die Fersen den Boden küssen und nicht auf ihn herunterplumpsen. Zum Nachspüren setzt man sich sofort und lenkt seine Aufmerksamkeit auf den Atem. Dieser dürfte sich in der Tiefe des unteren Beckens impulshaft melden und ist während des ersten Zyklus von drei Rhythmen kaum durch das Bewusstsein abbremsbar. Der Atem zeigt sich in seiner vegetativ-toni- schen Antriebskraft. Dieses Erlebnis könnte ahnen lassen, welche Möglichkeiten ein zugelassener Atem- fluss mit sich bringt.

Vom Federn zu unterscheiden ist das Schütteln, das auf der Schwelle zum Hüpfen steht, wobei die Fersen höher gehen, ohne dass die Vorderzehballen vom Boden abheben. Das Schütteln ist ein Zwerchfellzieher, der die Einatemweite mobilisiert. Während also das feiner anmutende Federn in muskeltonisch- sensori- scher Hinsicht die Vertikalität der Ausatembewegung anspricht und Zentrierungen des Raumverhaltens vorbereitet, zielt das Schütteln mehr auf die ausdehnende Horizontalität im Raum. Im Grunde könnten beide Arbeitsweisen mit den Gelenken als Ausgangsarbeit für die Atemgestalt Positionierung dienen. Mit ihnen soll entweder die Vitalität im Beckenboden räumlich oder die Raumweite im ganzen Rumpf angesprochen werden. 

Wenn beide Raumbildungsformen genügend vorhanden sind, könnte auch bereits in der Atemanregung die Aufrichtung von den Füßen her vorbereitet werden. Hierzu wäre eine gymnastische Arbeitsweise zu wählen, bei welcher sich der Übende zunächst runter in die Hocke lässt, um sich aus dieser mit der Kraft der Ausatembewegung aufzurichten. Dabei gilt es die Gegenspannung der Füße zum Boden auszunutzen und von unten die Kraft durch einen freizugebenen Laut (Hu) abzustützen.

Die beiden Raumbildungsformen (Vitalität in der tiefen Beckenbodenräumlichkeit und eine gewisse Gesamtweite im Rumpf) sind geschwächt, wenn noch familiennahe Konflikte belasten oder aktuell virulent sind. Diese atemanregende Arbeit könnte auch jene qualifiziertere Atemgestalt vorbereiten, bei der eine bessere Positionierung zur Standpunktbildung in einer sozialen oder beruflichen Sphäre gestützt werden kann. Mit solchen Differenzierungen kann vor allem im Einzelunterricht gearbeitet werden, was eine höhere Versiertheit in der Auswahl von geeigneten Übungsformen abverlangt.

 

In der Gelenkarbeit angelegte Sinnentfaltung
Nach diesen Andeutungen gilt es noch die Sinnentfaltung bei der Gelenkarbeit zu besprechen. Das Federn könnte nämlich auch eine Gelenkarbeit zum Aufbau der Atemgestalt Ichkraft einleiten. Bei dieser werden alle Gelenke durch Bewegungs- und Spürarbeiten sowie auch mögliche Kontaktaufnahmen mit einem Partner durchgeklärt. Gelenkarbeiten zielen immer auf die Stärkung der Ich-Kräfte durch ihre Atemwirkung auf den mittleren Raum zwischen Brustbein und Bauchnabel ab. Die Gelenkarbeit kann die Zentrierung des mittleren Atemraums vorbereiten, wenn die Gelenke unterspannt, und dessen Ausdehnung, wenn diese überspannt sind (vgl. auch zur Thematik der im mittleren Atemraum wurzelnden Atemgestalt Ichkraft:
Exemplarische Notizen zu verschiedenen Atemgestalten unter der Rubrik Atembewegung/Atemgestalt)

Zum Thema einer Gelenkarbeit kann auch die Atemgestalt Wurzelkraft werden. Für deren Aufbau sind alle Ebenen der Gelenke zu arbeiten. Dies kann – besonders bei der Überwindung von elterlichen Belastungen – anstehen. Bei der Wurzelkraft steht der Atemraum und das Atemzenrum im Mittelpunkt der Ansprache, der auf der Gelenk-Leisten-Ebene liegt. Diese liegen unterhalb des Atemimpulspunktes im Becken, der bei einer Vollatembewegung mit dem körperlichen Schwerkraftpunkt zusammenfällt. Dieser Erdkraft-Bereich wieder- um ist unter dem Namen Hara bekannt und zeigt sein Vorhandensein durch eine leichte Wölbung des Bauchs unterhalb des Nabels.

Für das Federn zur Einleitung einer Gelenkarbeit sollten die beiden Fußgelenke vorbereitet werden. Man beginnt mit einer Energetisierungsarbeit der Fußgelenke, indem man das rechte Bein über das andere schlägt. Danach ist mit der rechten Hand das Fußgelenk des aufliegenden Beines und mit der linken der Fuß unterhalb der Vorderzehballen zu umfassen. Am Besten erkundet man bei geschlossenen Augen die Bewegungsmöglichkeiten dieses Gelenks. Man dreht den Fuß um das Gelenk mit einer innerlichen Beteiligung der Person: Man spürt, indem man bewegt und wird zur Bewegung angeregt, indem man spürt.

In dieser gegenseitigen Anleitung von Spüren und Bewegen schließen sich das instrumentelle Körperhaben des Ich und das erlebende Leibsein der Person zu einem „Gestaltkreis“ (Viktor v. Weizsäcker). Das grei- fende Bewegen der Hände erhält einen Rückhalt im Leib: Indem die Hände spüren, werden die eigentlichen Bewegungsimpulse der Hände leiblich geformt.

Hat man mit der Bewegungsarbeit an einem Gelenk genug, umschließt man es mit beiden Händen und spürt mit ihnen nach innen oder auch umgekehrt mit dem Gelenk in die Hände. Das Gespür nach innen baut Überspannungen ab und das nach außen gehende Fühlen hebt Unterspannungen an. Danach stellt man das Bein ab, spürt nochmals dem so Angeregten nach, vergleicht die beiden Gelenke, nimmt die Auswirkung auf die gesamte Körperseite sowie die Auflage des Fußes auf den Boden und schließlich den Sitz und die Auf- richtung wahr.

 

Energetische Korrespondenzen
Die gewählte atemanregende Übung des Aufrichtens aus der Hocke kann durch das spürsame Drücken und Durchkneten des Fußes vorbereitet werden. Dies wirkt unspezifisch auf den Gesamtleib. So ruft ein Druck auf die Fersen Atembewegung im Becken hervor, der Bereich des mittleren Fußes korrespondiert mit dem mittleren Teil des Rumpfes, also dem mittleren Atemraum, und die Arbeit an den Vorderzehballen energeti- siert den Schultergürtel. Druck auf die sensiblen Enden der Zehen intensiviert ebenfalls im Schulterbereich die Einatembewegung und das gesamte Abdrücken der Zehen nach unten verlängert reflexartig das Ausatmen, weil er Spannungen der Einatemhilfsmuskulatur im Schulterbereich in Schach hält und jedem verlängerten Einatmen den Weg versperrt.

Im Fuß bilden sich wegen der Gravitationsorientiertheit der Muskelsinne die gesamtkörperlichen Span- nungsverhältnisse ab. Da diese im Fuß ein holistisches Projektionsbild haben, vermag etwa die mit Druck auf die vielen Sehnen arbeitende Fußreflexzonentherapie das Umgebungsmilieu der Organe anzusprechen, die um das Zwerchfell liegen. Von solchen Zusammenhängen weiß auch die chinesische Meridianlehre. Es ist offenbar die Atembewegung, welche wegen der Korrespondenz zwischen diesen Körperextremen und dem Rumpf informiert.

Im Fuß herrscht eine Eigenschwingung vor, die deshalb zur Differenzierung fähig ist, weil sie durch einen komplexen Hintergrund des Ganzen geregelt ist. Dass nach dem holistischen Funktionsprinzip in jedem Teil eines Ganzen, selbst in einem einzigen Punkt, die Information des Ganzen enthalten ist, wird in der Fuß- arbeit mitverpflichtet und kann auch gezielt genutzt werden. Allein wie ich die Fußarbeit ansetze oder akzentuiere, ergeben sich vielfältige verlebendigende Beeinflussungsmöglichkeiten anderer Leibpartien, weil ihn ihnen die Atembewegung antwortet..

Ist das Thema der Gruppenstunde raumorientiert, so kann ich die Ausdehnungsweite der Atembewegung im Rumpf über ein Kreisen an den Fußrändern aktivieren. Soll die Atemrichtung das vornehmste Element einer aufzubauenden Atemgestalt werden, so könnte das Hochnehmen vom Boden und das Abdrücken der Ferse auf den Boden der thematischen Orientierung auf die aufsteigende Ausatemrichtung – wir kommen auf diesen bereits angesprochenen Terminus noch darauf ausführlich zurück – einen Weg bahnen. Eine leib- liche Grenzaktivierung hat der Druck mit den Außenkanten des Fußes auf den Boden, was die Flanken weitet, weil dynamische Einatemimpulse der Zwischenrippenmuskulatur aktiviert werden. Ein aufsteigender Atemsog vom Beckenboden hoch bis über den Kopf hinaus kann auch das Resultat des Drückens der Fußinnenkante sein. Und schließlich kann eine Dehnarbeit aus der - bei der Beschreibung des Federns vorgestellten - Fußmitte heraus oder eine Druckarbeit in diese hinein  die Zentrierung des mittleren Atemraums vorbereiten. Eine derartige Anfangsübung könnte auch eine Gruppenstunde zur Entwicklung der Atemgestalt Atemmitte aufbauen.

Im unabdingbaren Nachspüren nach diesen einfachen Arbeiten, denen das Abstand nehmende Ausruhen folgt, kann der Fuß als besser aufliegend empfunden werden kann. Mancher Fuß kann aber auch über dem Boden stehen oder in ihn einsinken. Es kann erlebt werden, wie sich dieser Fuß oder auch die ganze Kör- perseite ausgedehnt hat und jene Plastik der leiblichen Räumlichkeit erfahrbar wird, die dem Lebendigen zugehörig ist. Sie erscheinen in prägnant erlebbarer Empfindungsproportion als „Schärfe der Begrenzung“ (Frederik Buytendijk) etwa vergrößert oder verkleinert.

Ein Fuß kann sich, wenn Überspannungen abfließen, mit Wärme füllen oder auch gerade bei einer Gelenk- arbeit, wenn Unterspannungen angehoben werden, stechend kalt werden. Solche Empfindungen verweisen auf die veränderte Ausdehnung und Positionierung des Leibes im sensorischen Verhältnis von innen nach außen. Denn immer ist bei Fußarbeiten die direkte Kontakfläche mit der Erde angefragt, über die ein jeweiliges Verhältnis zur Gravitation gestaltet wird. 

In der Arbeit mit den Füßen erleben wir besonders leicht den Vorgang der Leiblichkeit, welcher „das Lebendige nicht dort zu Ende sein lässt, wo es doch faktisch aufhört“ (Helmuth Plessner). Wenn sich etwa der Fuß noch unterspannt vom Kontakt mit dem Boden zurückzieht, so entsteht eine sensorische Relation, in welcher der Fuß erlebt wird, als würde er in den Boden einsinken. Oder wenn der Fuß durch Unterspan- nungen festgehalten wird, kann er als über dem Boden stehend empfunden werden.

 

Körper und Leib
Wir haben es bei der middendorfschen Atemerfahrung nicht nur mit dem voluminösen Muskelstoff, sondern vor allem mit sensorischen Ausdehnungen und deren Grenzziehungen zu tun. Im Unterschied zur Kontur des physikalischen Körpers können wir deshalb von einer verschiebbaren Grenze des Leibes sprechen, die uns durch ihre Schwingungsnatur darüber Auskunft gibt, wie wir uns im vital-sensorischen Bewegungsraum verhalten bzw. Innenwelt und Außenwelt miteinander sensorisch verschränken. Die Entfaltung und Ausdif- ferenzierung der Atembewegung lässt uns eine personale Mitte in dieser sinnlichen Raumverschränkung von Innen und Außen, bei der das eine ins andere geht, finden.

Körper und Leib sind zu unterscheiden, obgleich sie materiell keineswegs zweierlei sind. Den Körper haben wir und Leib sind wir. Darum wusste bereits die klassische Philosophie. Dem ehemaligen Angehörigen des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und Mitbegründer der Humanistischen Psychologie Erich Fromm, dessen Ehefrau Atemlehrerin war, hat diese Unterscheidung als Ausgang kultur- und gesellschaftskrit- scher Überlegungen gedient.

Der zweckhafte Körpereinsatz ist vom Ich geführt. Der Leib dagegen ist sinnvoll und personenbezogen. Der Leib ist weder Volumen noch Substanz im Sinne des klassischen philosophischen Denkens. Das Volumen wird durch die vital-sensorische Raumbeziehung überschritten, durch die dem Menschen aufgetragen ist, eine kohärente Spannung mit der Welt herzustellen. Indem das Körperliche außerhalb der Beziehung zur äußeren Gegenwelt liegt, die eine informatorische Resonanzerscheinung darstellt, kann ihm im Leibdenken auch keine Substanz mehr entgegengesetzt werden Sie erscheint in Energien und Informationen aufgelöst.

 

Gelenke und sensorischer Raumaufbau
Die Bedeutung der Gelenke wurde bereits in der Beziehung zu den Atemgestalten Ichkraft und Wurzelkraft erörtert. Hier interessiert ihre Korrespondenz mit dem Tonus der Muskeln. Gelenke besonders durchlässiger und sensibler Menschen sind oftmals selbst dann gespannt, wenn sie über eine ausreichende Abwehr- fähigkeit gegenüber den Widrigkeiten des Lebens verfügen. Wenn ihnen jedoch eine ihrer Sensibilität entsprechende Abwehrkraft fehlt, verfügen sie nicht über die Immunschranke, welche ihnen der wechselhafte Aufbau von Atemgestalten sichert.

Für den darstellenden Künstler z. B. könnten Überspannungen in den Gelenken eine entscheidende Schwachstelle bilden, die seine hohe muskuläre Sensibilität kompensieren. Er hat ein fragiles Verhältnis zum Publikum einzugehen, wenn er auftritt. So manche hoffnungsvolle Stimme musste letzten Endes enttäuschen, weil exakt dieses Ungleichgewicht die Person hindert, ihre seelisch-geistige Substanz auszustrahlen und sie deshalb mit ihrer Leiblichkeit keine verbindende Resonanz zum Publikum findet. Zwerchfell und Stimmorgan sind nicht alles. Es bedarf der atemgefüllten und atemverdichteten Atmosphär- enbildung im Raum, will ein Künstler die Darstellungsfläche im Ausdruck füllen. Das transsensische „In-der-Welt-sein“ (Martin Heidegger) kann weder durch eine Technik noch einen methodischen Trick hergezaubert werden.

Mancher junge Mensch, fand wegen seines Mankos, nur einen kleinen Raum füllen zu können,  keine Aufnahme in eine Gesangsklasse der Musikhochschulen. Ihm wurden bedeutend weniger talentierte Stimmen vorgezogen. Man weiß dort meist nicht darum, dass ein solches Ungleichgewicht ein Problem mangelnder Atemsubstanz und durch eine nachhaltige Atemarbeit aufhebbar ist. Gerade in jungen Jahren kann die Unfähigkeit zur Sphärenbildung darauf beruhen, dass die stummen Selbstverständlichkeiten einer Hintergrundsbildung im Atemraum noch nicht konsolidiert sind. Das kann auch auf eine außergewöhnliche künstlerische Begabung hinweisen, die sich vielleicht mit der Fähigkeit paart, eine geistige Durchdringung der Kunst leisten zu können.

 

Der leibliche Charakter des mittleren Atemraums
Arbeitet man die Gelenke durch, so entsteht zunächst meist entweder eine schlaffe Müdigkeit oder ein helles Aufgekratzt-sein: Ersteres passiert bei überspannten, letzteres bei unterspannten Gelenken. Dieser Umschlag im Zumute-sein ist nun an einem besonderen Ort, dem Raum um das Zwerchfell, zwischen Brust- bein und Bauchnabel aufzuheben, den wir bereits als den mittleren Atemraum benannt haben und der sich von einem unteren und oberen Atemraum unterscheidet. Zu ersterem gehören das Becken und die Beine, zu letzteren der Schultergürtel sowie der Kopf und die Arme.

Ilse Middendorf beschreibt in ihrem Buch „Der Erfahrbare Atem“ einige wenige, einfacher Darlegung zugängliche Übungsweisen und benennt ihre systematische Bedeutung in der Darstellung ihrer Atemlehre. Folgen wir ihren Ausführungen zu zwei einfachen, aufeinander aufbauenden Arbeiten am mittleren Raum, die etwa eine Gelenkstunde abschließen lassen könnten. „Sie sitzen gut und gesammelt. Ihre rechte Hand streicht vom Brustbein und dem rechten Rippenbogen über die Flanken bis zum Rückgrat und zurückt. Dasselbe tun Sie mit der linken Hand und Ihrer linken Flanke. Es sind Ihre Hände, die streichen; es ist Ihre Flankengegend, die Sie streichen. Innig, warm, mit dem Leib verbunden, streichen Ihre Hände. Sie spüren selbst, wenn Sie aufhören möchten, und im Nachschwingen ergibt sich der Sinn Ihres Tuns: Ihr Atem bewegt sanft, aber deutlich Ihre Flanken im 'Weit und Schmal', und sie spüren die gestrichene Gegend wie einen lebendigen Ring. ... Diesen Ring, den Sie soeben erarbeitet haben, können Sie nun kreisen lassen. Die neu erwachte Empfindung der Flankengegend wird Ihnen helfen. Dehnen Sie zuerst nach rechts oder links soweit hinaus, dass sich sogar Ihr Gewicht etwas auf den einen oder anderen Sitzknochen schiebt. Dann setzt sich die Dehnung in den Rücken fort und gleitet über die Seite nach vorn, um nun wieder über die Flanke weiter dehnend zu kreisen. Das Kreisen vollzieht sich horizontal, Ihr Becken und Ihr Schulter- gürtel sollte sich nicht stark daran beteiligen, sie bleiben fast in ihrer Lage. Natürlich können Sie im Kreisen die Richtung wechseln, einige Male nach rechts, einige Male nach links. Im Ausschwingen erfahren Sie, dass die Mitte ihres Rumpfes gelockert und erweitert ist und dass sich Ihr Atem angeregt in der geübten Gegend bewegt.“

Ilse Middendorf hat noch weitere Bewegungsarbeiten zur Differenzierung des mittleren Atemraums erschlos- sen und in ihr Übungsensemble aufgenommen. Auch über die Vokalraumarbeit und die Behandlungsarbeit kann der mittlere Atemraum direkt angesprochen und die Bewegungsweisen des Atems können in diesem vielgestaltig ausdifferenziert werden. Außerdem ist es möglich, ihn über Leibkorrespondenzen anzuspre- chen. Wir kennen bereits die Verbindung zur Fußmitte und benennen noch weitere Korrespondenzen, über welche die Atembewegung im mittleren Atemraum zu aktivieren möglich ist: die Arbeit mit den Augen und dem Ohr, den mittleren Nasenmuscheln, der mittleren Gesichtspartie, den Fingerkuppen der Mittelfinger sowie der Handmitte.

Der mittlere Atemraum ist der energetische Integrationsraum der aus dem Becken aufsteigenden Antriebe und der sich aus dem Brustkorb sich entwickelnden Dynamiken der Ein- und Ausatemimpulse. Vertikalität auch in absteigender Atemrichtung, Horizontalität, Seitlichkeit, Vorne und Hinten finden über den mittleren Atemraum zusammen. Selbst unterhalb der beiden großen Fehlformen der Atmung, die einer habituierten Hoch- oder Tiefstellung des Zwerchfells entspringen, schlagen sich alle Über- und Unterenergetisierungen in anderen Atemräumen als ein Ungleichgewicht im mittleren Atemraum nieder.

Die Unterscheidung zwischen Körper und Leib erweist sich sinnvoll, betrachtet man die Konstitution der Leiblichkeit als mittlerer Atemraum, wie sie aus der körperlichen Ordnung hervorgeht. Physiologisch ist nämlich zwar nur eine Zweiteiligkeit des Rumpfraumes gegeben. Dieser offenbart sich in seiner sensori- schen Entfaltung jedoch als dreiteilig. Sind der obere und der untere Atemraum mit ihren verschiedenen Zentrierungen und Kräftefelder zu einander ins Maß gesetzt, dann trennt das Zwerchfell nicht Brust- Schulter-Kopf-Bereich vom Becken, sondern verbindet diese vielmehr.

Der sich nur durch die Vollatembewegung konstituierende mittlere Atemraum ist mit einem eigenständigen Atemimpuls sowie eigener Raumausdehnung beim Einatmen und zurückschwingender Ausatemverdichtung in dessen Zentrum erfahrbar. Steht ein Mensch in einer unaufgelösten Konfliktsituation, so ist dieser mittlere Atemraum zerrissen und bildet sich dieser durch eine Selbsterfahrung der Atembewegung hindurch oder durch die Begegnung in der Atembehandlung wieder, so ist ein Konflikt durchgeklärt. Ohne weiteres Hin und Hergerissensein wird entschlossen gehandelt oder sich entschieden verhalten.

 

Nach außen geht das im Innen Aktivierte
Das Verhältnis der Binnenräumlichkeit als sensorische Relationsbeziehung zum Außen hat nicht nur Zent- ren der Räume, sondern zeigt sich auch – wie wir bereits wissen – in Grenzen,. Diese können besonders hinsichtlich der Ausdehnung, der Durchlässigkeit, der Empfänglichkeit, der Geöffnetheit, der Abgegrenztheit oder Abgeschlossenheit erarbeitet und empfunden werden Und schließlich existieren wieder Übungen, welche die Räume verbinden: durch Ausatemrichtungen, durch Gewichtungen in den verschiedenen Phasen des Atemrhythmus.

Atemräume qualifizieren die Verhalternsstrukturen des Befindens. Sie können in sich selbst als Verhältnis der einzelnen Atemphasen oder im Verhältnis zu anderen Atemräumen ins Maß gesetzt werden. So kann etwa eine öffnende Geste mit der Hand eine sensorische Grenzverschiebung in den Außenraum befördern, durch welche eine Überenergetisierung des Brustkorbs abgebaut wird. Umgekehrt kann eine abschließende Geste wiederum sensorische Grenzziehungen hervorrufen, die sich als eine Zentrierung des mittleren Atemraumes niederschlagen.

Aber es sind diese nur in der Atemerfahrung zugänglichen Differenzierungen, welche den Ausdruck einer Bewegung tragen, die das Ich an die Leiblichkeit zurückbinden, die Tonusmodulationen vervielfältigen und das Vegetativum ordnen. Korrespondenzreich xistieren atemenergetischen Verbindungen, die ausdrucks- volle Haltungen und stimmige Gesten sowie triftige Gebärden tragen. Ihre Aktivierung durch die feinen Lösungsimpulse der fließenden Atembewegung drängt in die gestalterische Freigabe als „Bewegung aus dem Atem“, dem erklärten Ziel der middendorfschen Atemlehre.

Wenn wir versuchen, die mögliche Ausdifferenzierung der Atembewegung zu schildern, über die sich anthro- pologisch qualifizierte Atemweisen als Atemgestalten aufbauen, stoßen wir auf das Ungenügen, dass sol- che Begriffe gegenüber dem Selbsterleben wenig besagen und dieses nicht zu ersetzen vermögen. Im Grun- de verbirgt sich hinter diesen wenigen Andeutungen ein im Vergleich zu sonstigen Körperarbeiten außeror- dentlicher Gestaltungsreichtum durch die Atembewegung.

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Atemgestalt Positionierung

Unterscheidungen und Verbindungen
Unsere exemplarischen Darstellung der Gruppeneinheit soll jedoch keine Gelenkarbeit zum Thema haben. Die Andeutung einer möglicher Arbeitsweise mit den Gelenken, die Bezüge einer solchen Arbeit zu anderen Leibbereichen und der Vergleich mit anderen Übungsmöglichkeiten, die ebenfalls das Thema Positionierung einholen, soll genügen und uns die Ahnung mitgeben, dass es vielfältige, ungeahnt differenzierte Weisen zum Durcharbeiten, Durchklären und Verlebendigen des Leibes gibt. Was als Übungsweise außerordentlich schlicht daherkommt und ebenso einfach ausgeführt zu werden verlangt, birgt einen komplexen anthropologischen Sinn. 

Die begonnene Darstellung eines Gruppenthemas soll in die Entwicklung der fundamentalen anthropologi- schen Atemqualität einmünden, die mit der Aufrichtung gegeben ist: Die Atemgestalt Positionierung im Raum. Sie zeichnet sich vornehmlich darin aus, dass sie durch das Vertrauen in den unteren Atemraum, das dynamische Gewichtablassen gegenüber der Schwerkraft auf Boden und Hocker und treibenden Auf- richtungsleistungen aus dem Beckenboden geordnet wird. Positionierung ist eine der Funktionen des aufsteigenden Ausatems.

Die Aufrichtung geht in die Atemgestalt Haltung ein, deren Thematik weiterreicht. Die Aufrichtung als Positionierung ist vor allem eine Angelegenheit der Vorderseite. Die Haltung jedoch schließt die Rückseite mit ein und betrift die Raumbildung durch die Einatembewegung. Der Kopf bzw. der Schultergürtel und letztendlich das Gesicht müssten bei einer Haltungsarbeit mit differenzierten Arbeitsweisen durch den Atem verlebendigt werden, weil diese es sind, die eine spezifische Exposition zur Welt tragen. Eine fortgeschrittene Haltungsarbeit könnte gar so gesteigert sein, dass evtl. unwillkürlich in der Phase des Ausatmens die Augen aufgehen können, was bei einer gelungenen Atemstunde just in dem Moment geschieht, wenn eine Arbeit zum mittleren Atemraum sie abschließt.

Während sich die Aufrichtung als vornehmliche Schwerkraftbeziehung über den unteren Atemraum organi- siert, qualifiziert sich die Haltung über den mittleren Atemraum,. Sie tangiert als Einstellung gegenüber der Gegenwelt die Ich-Kräfte. Haltungsarbeit kann über die Ausweitung der Atemräume und ihre gegensinnige Verschränkung mit dem Außenraum oder besonders die Lösung im mittleren Wirbelsäulenbereich vorbe- reitet werden. Und von der Haltungsarbeit wäre nochmals die Erarbeitung des Vorder- und Hintergrundes als anthropologischer Sachverhalt zu unterscheiden, die ebenfalls horizontal-räumlich, nummehr auch die leibliche über die Körperkontur sensorisch hinausweisende Grenze, qualifizieren.

Gründet die Haltungsarbeit in horizontalen Einatembetonungen, gründet die Atemgestalt des Vordergrundes und der Hintergrundes in horizontalen Einatemdynamisierungen zwischen vorne und hinten. Das Nähe- und Distanzverhalten regulierende Nabelfeld – das ebenfalls einer eigenständigen Arbeit würdig ist - muss mit- schwingend, sollen sich diese beiden prononcierten Beziehungen zum Außenraum aufbauen können, die den Tonus der Lage im Raum bzw. das atmosphärische Eingebundensein mit anderen betreffen.

Diese als Stichwort genannten Arbeiten sind selbstredend, ohne dass sie wiederum besonders thematisch differenziert erarbeitet werden müssten, Qualitäten der Aufrichtung und Haltung inhärent. Dabei sind Nabelfeld, Vordergund und Hintergrund Atemgestalten, deren Aufbau ein individuelles Maß finden lässt. Durch das Einlassen der Person in den eigenen Hintergrund vereinigt sich das gesamte Ensemble individueller Motive und sozialer Gebunden- heiten des kollektiven Unbewussten. Und durch das Hervortreten in den Vordergrund zeigt ein Mensch sein Mutigsein in Entscheidung und Handeln. Er verkriecht sich nicht im Kollektiv. (vgl. zur Hintergrundthematik : Exemplarische Notizen zu verschiedenen Atemgestalten unter der Rubrik Atembewegung/Atemgestalt)

Das Thema Aufrichtung unterscheidet sich im sensorischen Raumbezug durch eine entscheidende Gewichtung von der Haltung. Beides sind statische Funktionen. Durch eine Aufrichtungsarbeit positionieren wir uns, während wir uns durch die Haltung auch den Raum in sein Maß setzen können, wodurch wir uns auch rückwirkend zentrieren. Der dynamische Gegenpol zur Positionierung ist die Ausdehnung und der zur Zentrierung die reagible Beweglichkeit. Beide zueinandergehörige Paare sind im Stufenaufbau zu betracht- en: Die Allgemeinheit der Atemregulation betrifft Positionierung und Ausdehnung. Die Grade der Wachheit sind dem zugehörig. Die Atembesonderung dieser lagetonischen Grundform in die phasische Regulation begründet die Aufmerksamkeit. Dies ist ein phasisches Geschehen .(vgl. hierzu auch das Schaubild über die Sondermeridiane  unter der Rubrick Atembewegung/chinesische Meridianlehre)

Die Aufrichtung lebt vornehmlich daraus, dass der tonische Antipode zum Zwerchfell angeregt wird, damit sich im Raum zwischen Beckenboden und Zwerchfell eine Spannkraft aufbaut, die von der Füßen her über die Wirbelsäule hin zum Kopf eine vertikale Formung durch den Ausatem erhält. Aufrichtung entsteht aus spannungstreibenden Atembezügen, die von unten nach oben gehen und deren Name „aufsteigender Aus- atem“ ist. Dieser entsteht beim Zurückschwingen im Ausatmen: einmal beim Schmalwerden des Leibes, das von der Einatemweite in die Ausgangslage zurückkehrt, zum andern durch die anhebende Zwerchfell- bewegung, die nun wegen der engen Beziehung dieses einen Hauptatemmuskels zur Wirbelsäule, Halte- reflexe aktiviert. Eine fortgeschrittenere Arbeit zur Raumpositionierung könnte auf das Zentrum im unteren Atemraum abzielen, aus dem der Atemimpuls hervorgeht. Wir deuteten bereits an: Dieser Punkt markiert auch den körperlichen Schwerpunkt.

 

Der Handlungskreis
Kommen wir nochmals auf die Arbeit mit dem Fuß zurück, dessen energetische Gravitations- und Korres- pondenzbedeutung wir oben vorgestellt haben. Meist am Anfang einer Gruppenstunde sind die Füße dran. Eine einfache Vorbereitungsarbeit für den Aufbau der Atemgestalt Positionierung wäre das Durchkneten des Fußes.

Bereits am Fuß, an dem die Atembewegung meist erst zu spüren ist, wenn das Empfindungsbewusstsein differenzierter geworden ist,  soll mit innerer Beteiligung gearbeitet werden. Den Fuß gilt es als zur eigenen Person zugehörig zu meinen. Es ist tunlich zu vermeiden, ihn als einen Körpergegenstand zu bearbeiten. Das Ich soll sich beim Verlebendigen des Fußes vermittels der Empfindung in die personenbezogene Leibbeziehung einlassen, die mit der Atembewegung gegeben ist.

Wenn ich meinen Fuß zwischen meinen Händen habe – das Bein wird auf dem Oberschenkel des anderen hochgelegt – spüre ich nicht nur mit meinen Händen den Fuß, um ihn zu drücken, und um die Zehen und Vorderzehen aufzudehnen. Ich erlebe den eigenen Fuß mit seinen beweglichen und fixierteren Teilen, seine Ausbreitung und Einwölbung. Dadurch beginnt der Fuß mich zu informieren und ich nehme von ihm aus auch einen transsensischen Kontakt zu meinen Händen auf.

In diesem derart geschlossenen „Handlungskreis“ stößt mein motorisches Tun in die Empfindung von mir selbst zurück. Rigide Greifmuster der Hand treffen auf diesen widerstrebenden Tonuseigenschaften des Fußes. Da dabei empfindungsbewusst wird, wie mein Handeln Anspannungen hervorruft, können diese auch aufgegeben werden. Es kann sich jene entscheidende Innigkeit ausbilden, die bewirkt und als Empfindungs- fähigkeit dem Ich sowohl zur Distanzierungsfähigkeit gegenüber der anregenden Umwelt als auch eine Ab- standsnahme bezüglich der von Innen kommenden Eigenimpulsen verhilft.

Nachdem ich mit einem Fuß genügend gearbeitet habe, stelle ich ihn ab, um nachzuspüren, was diese Anregung bewirkt. Bereits durch eine derart einfache Arbeit kann die Atembewegung in den Atemräumen lebhafter werden, weil sich die Lebendigkeit des Fußes wegen energetischer Korrespondenzen in den Rumpfbereich übersetzt. Nach einer in eigener Zeit bemessenen Pause ist mit der anderen Seite zu arbeiten.

 

Personale Entfaltung energetischen Korespondenzen
Für das Gelingen einer Gruppenstunde wird es maßgeblich, dass der Atemlehrer selbst in seinem Leib ist, während er die einzelnen Arbeiten zeigt. Jene Selbstverständlichkeit, mit der er sich seinem Fuß zuwendet, spendet ein ganzheitlich wahrgenommenes Bild, das die teilnehmenden Atemschüler anrührend erreicht und diese den Bewegungsvollzug innerlich vorwegnehmen lässt. Deshalb sollten die Atemschüler eine gezeigte Arbeit zunächst an der Darstellung der Bewegung empathisch teilnehmen und erst dann mit dem eigenen Arbeiten beginnen.

Wer versucht, zeitgleich mit dem anleitendenden Zeigen einer Übung diese nachzumachen, bleibt nur ein schlechter Beobachter seiner Leiblichkeit mit seinem Ich, das er in einen sensorischen Innen- und Außen- bezug aufspaltet. Der Übende vermag wegen dieser Halbheit weder die Absichten seines Ichs durch den Empfindungswiderhall der Bewegung im sinnlichen Atemgrundes korrigieren, noch vermag er als leibhafte Person seine eigene Arbeit zu gestalten.

Auf was es ankommt, bleibt stumm. Der nachmachende Atemschüler verharrt beim Aspekt des Körper- lichen, das er analytisch abschaut und das er technisch richtig zu machen versucht. Er bewegt lediglich seinen physikalischen Körper in den Raum, lässt nicht die Empfindung wirken und die Person erleben, weshalb er den Körper auch nicht in seiner Leiblichkeit als sensorische Ausdehnung im Raum zu positionieren vermag.

Eine Leibpädagogik, die keine Körpererziehung sein will, gründet auf dieser personen- und sinnbezogenen Kontaktebene des innerlichen „Sich-Bewegen-Lassens“ durch den anderen. Wegen der Resonanzbezie- hungen in einer pädagogisch-therapeutisch gestifteten Sphäre wird immer wieder berichtet, dass das Erleben der Atembewegung in der Gruppe oder im Einzelunterricht bedeutend intensiver erfüllt als wenn zuhause alleine geübt er wird. Nicht zuletzt wegen des sinnlich-sensorischen Animierungsgrundes durch den Kontakt und die Begegnung mit dem anderen und dem Atemlehrer kann eine vorgestellte Atemeinheit nie eine Übungsanleitung sein.

Die personengebundenen und sinnhaften Resonanzbeziehungen  können jedoch nur wirken, wenn die Leiber in ihrem bereits ansprechenbaren Bereich auch weitergeöffnet werden können. Dies verdanken sie den vielzähligen energetischen Korrespondenzen, wegen denen der Funkte von einem Punkt aus im Leibe zu einen anderen überspringen kann. Obgleich sich mit dieser Arbeit nur einem Leibbereich, hier nur dem Fuß, zugewandt wurde, wirkt sie – wie oben breits skizziert – nach dem holistischen Prinzip, nach dem sich ein partielles Wirkungsfeld nochmals in der Gesamtgestalt ausweitet.

Aber nicht nur die Bereiche der Füße, auch die der Hände, deren Spannungsverhältnisse zentrifugal über die obere Rumpfhälfte geordnet sind, stehen in deutlich empfindbarer Atemkorrespondenz zu dem unteren, mitt- leren und oberen Atemraum. Wir haben bereits darauf zugespitzt auf den besonderen Aspekt der Bildung des mittleren Atemraumes sowie der allgemeinen Wirkung der energetischen Atemkorrespondenzen auf den gestischen Bewegungsausdrucks hingewiesen. Verdeutlichen wir-

Über den gegenseitigen Druck auf die sensiblen Kuppen der Mittelfinger wird ein Bezug zum mittleren Atem- raum herstellt. Mit derselben Druckhilfe nunmehr der kleinen Fingern ist die Atembewegung im Beckenbo- den zu aktivieren. Nehme ich den Ringfinger dazu, der das Becken betrifft, erreiche ich den unteren Atem- raum mit seinem Harazentrum, aus dem der Einatemimpuls hervor und in das die Ausatembewegung spür- bar als Verdichtungsempfindung zurückgeht. Zeigefinger sowie Daumen korrespondieren energetisch mit dem oberen Atemraum, wobei mit ersteren die Atembewegung im Schultergürtel und mit letzterem die nur schwer spürbare des Kopfes angesprochen werden kann. Fingerkuppenarbeit kann zudem in eine fortge- schrittenere Gestaltungsarbeit einmünden, bei welcher gezielt die Atembewegung aktiviert wird, um die Nuancen einer beseelender Geste zu spenden.

Die verschiebbare Leibgrenze ist an sich eine Thematik des sensorischen Verhaltens im Raum, die mit weiteren subtilen Bewegungen der Hand akzentuiert ausgeweitet werden kann. Die Leibgrenze kann in der Atemerfahrung zu einem eigenen Thema werden: Die Atemgestalt Peripherieatem, die Atemgestalt Poren- atem, die Atem- gestalt Abgrenzung und die Atemgestalt Atemwind. Der Peripherieatem setzt in die Mitte zwischen innen und außen, der Porenatem öffnet das abgeschlossene und abgedichtete Verhalten im Über- gang von innen nach außen und stellt das Gegenteil zum Aufbau von Leibgrenzen dar. Und der Atemwind ist der Durchzug von Außen durch das Innen zum Außen. Sie ist die eigentliche Durchlässigkeit der Leibgren- ze. Der überblähende Überdehnung der sensorischen Leibgrenze ist durch die Atemgestalt Positionierung entgegenzuarbeiten. Und die psychotische Auflösung der Leibgrenze verdankt sich dem Mangel jeglichen Geerdetseins, das von einer paradoxen Zwerchfellbewegung herrührt. Der Hauptatemmuskel wölbt sich beim Einatmen nach oben.

Wird bei einer Vollatembewegung während des Einatmens mit den Fingerkuppen in den Außenraum hinausgespürt, verlängert sich der Abstand zwischen der physikalischen Körperkontur und sensorischer Leibgrenze. Dagegen nimmt das Zurückspüren in den Finger diese zum Körperrand zurück oder schließt sie gar innerhalb des Körperraumes ein. Passend für die jeweilige Person und versiert angeleitet, können beide Vorgehensweisen die Atemrhythmen in ihr inneres Maß setzen. Auch die Gegensinnigkeit von sensorischer Ausrichtung und Ablaufrichtung der Atembewegung kann segensreich wirken. Weisen die Fingerkuppen in den Außenraum während die Ausatembewegung zurückschwingt, kann der letzte Kick für deren Zusammenballung gegeben werden. Mit dem völligen Auslaufen des Ausatems bis zur Ruhe in der Pause entsteht die Möglichkeit für den Spannungsaufbau zu einem Atemimpuls, der einengende Festigkeiten der an die Körperwände herangezogenen Leibgrenze des Neurotikers auflöst.

 

Aufsteigende Ausatembewegung
Beschreiben wir nach diesem knappen Einblick die mögliche Vervielfältigung der thematische Gestaltung nunmehr die vorzustellende Aufrichtungseinheit weiter und stellen eine fortführende Übungsmöglichkeit vor, welche den Aufbau der treibenden Spannkraft im Becken vorbereitet. Dabei interessiert hier besonders der Beckenboden oder das Basis-Chakra bzw. das Beckenzwerchfell, das als muskuläres Schwingungsgeflecht zum in den Bauchraum hereingezogenen und sich wieder hebenden Zwerchfell einen Gegenpol bildet. Wenn dieser zu fest ist, wird die Atembewegung zurück gekickt und wenn dieses zu unterspannt ist, staut sich diese im Becken auf.

Einfach ist das Kreisen um die Sitzknochen, das ein ständiges Druckverlagern in aufgerichteter Haltung ist. Es gibt zwei Möglichkeiten des Kreisens. Die eine ist ein einfaches Rundherum und wirkt räumlich. Die andere legt eine Acht um die Sitzhöher. Dadurch wird das Beckenbodenzentrum aktiviert und die Ausatembewegung aktiviert, die für die Positionierung entscheidend ist. Da es oftmals auch sinnvoll sein kann, eine Übung zu wiederholen, weil sich die Wirkung beim zweiten Mal verändert, kann man auch das weitende Rundherum und die zentrierende Acht nacheinander ausführen.

Wichtig bei dieser Arbeit ist, dass die Bewegungen aus dem Beckenboden heraus entstehen und nicht durch die Schultern geführt werden. Wenn die Bewegung ein derartiges Wegziehen von unten ist, wodurch auch kein Transsensus zum Sitz hin aufgebaut wird, nimmt sich die Person aus dem Arbeiten heraus. Das Ich macht und betrachtet den Beckenboden, ohne das sich die Person in diesen empfindend einlässt. Demgegenüber kann sich bei vorhanderner Unterspannung und Einatemaufstauung im Becken der Übende zwar hineben, aber er sinkt in sich zusammen und verliert Wachheit oder gar völlig die Anwesenheit. Hier wird besonders wichtig, sich transsensisch hin zum Hocker zu verhalten.

Darauf hin, also nach dem pflichtgemäßen Belauschen des in dieser Übung durch die Motion Angeregten und einer nachfolgenden Pause, bietet sie folgende Arbeitsweise an. Sie soll zunächst die den dynami- schen Ateman- trieb fördernde Wirkung des Beckenbodenkreisens und die den statischen Bodenkontakt verbessernde Übung an den Füßen miteinander zu einer erweiterten Raumbildung verbinden. Eine verbes- serte Raumbildung in der Einatembewegung dient der vertikalen Auftriebsleistungen der Atembewegung. Was zunächst im Sitzen ausgeführt wurde, soll nun im aufgerichteten Stehen ausgeführt: werden: das Krei- sen um den Außenrand der Füße.

Sind wir während der sanften Verlagerung des Gewichts, die dieses Kreisen um die Fußränder darstellt, zugleich am Beckenboden anwesend, kann nicht nur verhindert werden, dass der gerade gelöste Beckenboden wieder festgehalten wird, sondern sich auch .eine impulshafte Antriebsleistung aus dem Beckenboden ergibt. Kann diese Gewichtsverlagerung bei der fußkreisenden Arbeit auch durch den ganzen Leib hindurchgelassen werden, breitet sich die Atembewegung nach oben aus.

Über die Füße und über den Beckenboden bauen sich Spannungsebenen zum Zwerchfell auf, wodurch die Haltereflexe aktiviert werden. Die Muskulatur um das Zwerchfell und die Wirbelsäule kommt ins Mitschwin- gen . Nicht nur das Zwerchfell und die ebenfalls an der Wirbelsäule befestigten Zwischenrippenmuskeln werden dadurch rückwirkend in ihrer Schwingungsvarianz erweitert. Es werden außerdem die Bandscheiben mitangestoßen, die sich vermittels ihrer gewissen Plastizität über die Lymphe ernähren.

Der sich bereits zeigenden Antriebskraft von unten soll durch die nächste Arbeitsweise einen Schub erhalten, durch welche direkt die “aufsteigende” Ausatembewegung vom Beckenboden hoch zum Kopf aktiviert werden kann.. Durch eine lösende Bewegung der Zunge kann zunächst eine entlastende Span- nungsdifferenzierung im Mundraum entstehen, die besonders den Beckenboden, aber auch das gesamte Becken mit Atembewegung füllen kann. Wir nutzen für diese Raumfüllungi wiederum eine energetische Korrespondenz, die uns ebenfalls darauf aufmerksam macht, dass im Grunde jede Übung immer noch andere Leibpartien anspricht als jene, die direkt gemeint ist, wenn dies eine ausreichende Durchlässigkeit gestattet:

Der Beckenboden kann in eine mit eigenständigem Impuls ausgestatte Einatemschwingung gesetzt werden, wird die Zunge spürsam umgeschlagen. Dies lockt die Einatembewegung und intensiviert das horizontale Weiteempfinden der Rumpfbasis. Wird daraufhin die Zunge zum Zungengrund in einer Weise zurückgebracht, als würde zugleich ein Kirschkern auf eine bestimmtes Ziel hin ausgespuckt, so könnte eine Ausatembewegung entstehen, die vom Beckengrund aus durch den Rumpf hindurch nach oben hin aufsteigt. Durch das Ausrichten der Sinne auf das äußere Ziel kann - nicht zuletzt wegen der guten Vorbereitung - ein Auftrieb aus dem angesprochenen Beckengrundraum entstehen der in der Middendorfschen Lehre des Erfahrbaren Atems “aufsteigender Ausatem” genannt wird. 

Nun könnte die Gruppenstunde ausklingen. Dies geschieht einfach dadurch, dass die Hände auf den mitt- leren Atemraum zwischen Brustbein und Bauchnabel gelegt werden. In diesem Verweilen, wird die gesamte Übungseinheit eingesammelt und in die Person integriert.

 

Aus der Raumweitung in die Aufrichtung
Unser Einblick in die Atemwerkstatt ist soweit gediehen, dass wir  die subtile Prägnanz der middendofschen Atemarbeit erahnen und sich verschiedene Wege anbieten, wie eine Atemgestalt in der Bewegungsarbeit vorzubreiten ist.. Und nicht nur dies, eine Übung erhält ihre Sinnbedeutung danach, wie sie auf andere innerhalb einer Themeneinheit bezogen wird. Es gilt deshalb noch einige Arbeitsweisen darzustellen, die ebenfalls das Thema Positionierung alternativ einlösen oder innerhalb einer erweiterten Übungsreihe aufgenommen werden könnten. Auch die angelegte Vervielfältigungsmöglichkeit der Sinnbedeutung von Arbeitsweisen ist durchsichtig zu machen, wie sie sich aus dem Übergang in andere energetische Qualitäten ergibt.

Im ersten Schritt ist eine grundlegende Arbeitsweise vorzustellen die in ihrer Ausatemdimension aufrichtet, jedoch mit der angelegten Einatemweitung bereits die angesprochen Atemgestalt Ausdehung in den Hintergrund birgt: Das Dehnen ins Kreuzbein, das durch ein Abkippen der Sitzhöher vorgenommen wird, um den gesamten Rücken sensorisch den Hintergrundsraum zu erlängern. Diese einfache Übung grundiert die verschiedensten Gewichtungs- und Übergangsmöglichkeiten, die im nächsten Schritt vorzustellen sind

Bei dieser Arbeit  wird der Kopf etwas nach vorne abgesenkt, um das innere Gleichgewicht zu halten und nicht dem Nach-hinten-kippen mit Muskelkontraktionen gegenzuarbeiten. Beim Zurücknehmen dieser Aufdehnung des Rückens, spürt man mit den Sitzhöckern gegen den Hocker, wodurch sich eine Spannung gegen diesen aufbaut, welche die Weitungsdehnung im Rücken in eine aufrichtende Atembewegung aus dem Beckenboden überführt, Diese sowohl auf die Rückenweitung und die auftreibenden Antriebskräfte gleichermaßen abzielende Übung ist zweckmäßiger Weise vorzubereiten, indem das Kreuzbeins ausgeklopft und ausgestrichen wird.

Zunächst übt man das Abkippen, ohne auf den Atem zu achten. Man probiert verschieden große Bewegun- gen aus und variiert den zeitlichen Rhythmus, verharrt zwischendurch in der besser aufgerichteten Aus- gangslage und wartet auf den inneren Impuls zur nächsten Bewegung. Bei fortgeschrittenerem Geübtsein, legt man die abfolgenden Bewegung auf den Atemrhythmus und lässt sie durch die Atemimpulse führen. Atembewegung und Dehnung bereichern sich einander, was die Lösung in einer gegenüber der Entspannung angehobenen Tonuslage fördert.

Diese Arbeit kann weiter dazu dienen, das Dehngesetz kennen zu lernen. Das entscheidende in der Atem- arbeit spielt sich ja auf der Rückseite der ichgeführten Kontraktionen, nämlich bei den passiv auseinander gezogenen Antagonisten ab, die durch die sensitive Bewegung behutsam gelöst den Atemdurchfluss gestatten. Die beim Einatmen gedehnten Muskelketten aber werden in der sensitiven Arbeitsweise zu Lösungsketten. Bestehen keine besonders große Belastungen oder ist durch Gymnastik oder Sport nicht Gegenteiliges eingeübt, ruft die Dehnung Einatem hervor und das Zurückschwingen wird durch einen Ausatem begleitet. Sportler beugen sich oftmals weit vor und atmen bei der Dehnung kräftig aus, wodurch sie sich von einer vorhergehender Anstrengung entspannen.

 

Varianten
Die Grundform passive Dehnung ins Kreuzbein kann als selbständige Rückenarbeit genutzt werden.Sie dehnt einerseits den gesamten Rücken auf und kann andererseits die besondere Weise sein, mit welcher bestimmte Partien des Rückens oder der Wirbelsäule ansprechbar sind. Hier wird dann die Sammlung auf die ausgesuchten Bereiche gelegt.. Die Hände können dabei hinzugenommen werden.  Daraus entstehen Möglichkeiten zur Kombination, die variantenreich genutzt werden kann.

Z.B. führe ich diese sensitive Grundbewegung aus und lege dazu beide Hände mitten auf das Brustbein. und spüre mit den Händen zur gegenüberliegenden Wirbelsäule. Die Händen unterstützten die Empfindung und erleichtern die Anwesenheit. Mit ihnen kann ich mir auch selbstbegegnen, indem ich eine belastende Stelle anspreche oder belauschen, wie der Atemraum zwischen den Händen und der Rückseite wächst, weil er sich alleine auch durch Sammlung entwickelt. Für die Raumarbeit gilt es jedoch, nach und nach die empfindungs-mobilisierenden, und atemanregenden Bewegungseinsätze des Sitzhöckerabkippens zurückzunehmen, um mehr die Sammlung wirken zu lassen. Nur mit der Sammlung zu arbeiten, bedarf entwickelter Atemräume und fortgeschrittene Übung, um sowohl hingebend als auch achsam sein zu können, ohne den einen Aspekt zuungunsten des anderen überzubetonen.

Selbstverständlich kann ich mir auf diese ineinandergeknüpfte Weise von sensitiver Bewegung, Handeinsatz und Sammlung auch in anderen Leibbereichen begegnen. Werden etwa die Hände unterhalb des Zwerchfells angelegt, um mit ihnen besonders den Übergang von Brust - und Lendenwirbelbereich anzusprechen, kann sich hintere Mitte bilden. Sie verantwortet .Ruhe und Gelassenheit im Selbstvertrauen. Und natürlich kann ich während dieser abklippend-dehnenden Grundbewegung auch mit den Händen den gesamten oberen Raum, oder auch nur  den hinteren Schultergürtelbereich, aber auch im unteren den Lenden- oder Kreuzbeinbereich meinen.

Immer dienen die vorne aufgelegten Hände als Hilfe zur besseren Empfindung der Leibpartie, auf die ich mich sammle. Aber sie sind darüber hinaus nicht nur im fokusierten Bereich raumbildend. Wegen der Eigenkorrespondenz der Hände mit den Atemräumen, intensivieren sie außerdem den energetischen Austausch zu den anderen Leibbereichen und Atemräumen. Die angesprochene Fingerkuppenarbeit verweist uns in diesem Zusammenhang auf verschiedene Mitschwingmöglichkeiten im Handeinsatz., wodurch  sich die Atembewegung füllt und verdichtet bzw. erweitert und zentriert..

Die Hände können aber auch vor der Leibdecke geöffnet gehalten werden. Oder sie markieren durch eine eigene in sich aufdehnende Weitebewegung, in der auch die Arme breit vom eigenen Körper etwas weggehen, den sensorischen Raum nach vorne, während die Abkippbewegung den Rücken  nach hinten sensorisch in den Raum ausspannt. So kann sich mittels der sich mitbewegenden Hände nicht nur das Füllen der inneren Räumlichkeit abstützen, sondern auch die variable Ausdehnung in den Außenraum erweitern. Die damit gewonnene Einatemspannung im Becken kann danach gezielt in einen aufsteigenden Ausatems überführt werden. Die zuvor aufgedehnten Hände gehen mit der Ausatembewegung einfach mit nach oben und begleiten diese. Oder die Fingerkuppen führen die Hand in der Senkrechten von unten aus der Rumpfbasis über den Kopf.  Und bei einer dritten Ausführungsvariante des “aufsteigenden Ausatems” werden die Fingerkuppen von vorne  ausgerichtet, um vom Kreuzbein über die Wirbelsäule bis über den Kopf hinaus beführtt, um die  Aufrichtung.stringenter zu qualifizieren..

Dem Arbeiten mit dieser Grundform des Abkippens kann außerdem ein Rundumvergewissern des trans- sensischen Tragenlassens durch die Sitzknochen vorhergehen. Diese Spürweise kann gerne auch zu dem Zweck eingesetzt werde, das vorgestellte Beckenboden oder auch das räumlich weitere Beckenkreisen vorzubereiten. Dabei kippt man die Sitzhöcker nacheinander nach vorne und hinten sowie seitwärts ab und senkt zum Ausgleich der Schwer- und Fliehkraft dazu den Kopf mehr oder weniger stark gegensinnig ab. Beim Zurückkommen in das aufgerichtete Sitzen, sucht man besonders von vorne und von hinten die Aufrichtung, bei welcher der stärkste Druck nach unten entsteht. Durch diese sensitive Bewegung ergibt sich eine Aufrichtung bis zum Übergang der Lenden-zur Brustwirbelsäule. Eine gesamte, vom Atem getragene Aufrichtung, welche nach oben durchgeht und letztlich von den Beinen getragen wird, ist damit aber noch nicht gewährleistet, wenngleich diese bei genügender Durchlässigkeit und Geübtheit bereits einen aufsteigenden Ausatem bis in den Kopf hinein entstehen lassen kann.

Es wurde bereits angedeutet, dass es in forrtgeschrittener Arbeit - wenn also der Atemleib weitgehend durchgeklärt und durchlässig sowie die Atembewegung ausdifferenziert ist - möglich ist, allein mit der Sammlung zu arbeiten. Diese steht bei der sensitiven Bewegungsausführung durch das Ich noch am Rande steht. Sie kann erst beim Nachspüren dem durch die sensitive Bewegung Angeregten eine den Erfahrbaren Atem schöpfende Funktion gewinnen. Das Thema Atemgestalt kann also auch dadurch eingelöst werden, indem die Ausatembewegung der Samnmlung und umgekehrt so folgt, dass nicht mehr unterschieden werden kann, was das erste und was das zweite ist.

Vor allem gilt: Eine Sammlungsarbeit darf aber nicht unter der Hand zur unbeabsichtigten Atemführung werden, was rasch geschieht, wenn die Hingabe zu gering ist. Zum Aufbau der Atemgestalt Positionierung könnte während des Ausatems die Empfindungsverbindung vom Beckenboden zum Kopf erlebt  werden. Oder man könnte beim Ausatmen einfach sowohl am Beckenboden als auch an den Achselhöhlen anwesend sein. Man darf aber dann nicht wollen. Bereits eine geringe Konzentration reicht aus, den Atem zu verziehen oder zu schicken. Der Pfad, auf dem das Unvoreingenommene daherkommt und den Eigenrhyhmus mitbringt, ist schmal. Auf ihm  kann erlebt werden, wie die Atembewegung von unten den Schultergürtel lüftend hochfließt.

 

Übergänge vom Statischen ins Dynamische.
In einer anderen Variante könnte das Thema Positionierung eingelöst werden, wenn mit dem „F“ beim Ausatmen gearbeitet würde. Das „F“ kann langsam als sogenannte Lippenbremse geführt werden, wodurch eine atemformende Kraft frei wird. Dies geschieht, wenn sich eine den Rumpf tragende Spannung vom Beckenboden her aufbaut, wodurch der Kopf auf der Wirbelsäule ruhen kann und sich an ihm die Schultern einhängen. Diese die Aufrichtung tragende Arbeit mit dem „F“ kann außerdem einen treibend-dynamischen Gehalt gewinnen. In diesem Fall interessiert nicht mehr die Spannung im Raum, aus der sich die Aufrichtung trägt. Wichtig wird dabei dass wir sowohl im Beckenboden als auch in den Vorderzehballen mit dynamischen Muskelspindenn ausgestattet sind, deren Reflextätigkeit nun aktiviert werden soll.

Für eine solche Ausführungsvariante ist das „F“ kurz anzuschlagen. Dabei können auch die Hände so vor dem Beckenboden bewegt werden, als wolle man Tennisbälle hochwerfen.Gelingt die Arbeit gut, können sich die Impulse in die Beine fortsetzen. Gibt man sie ins leichte Hüpfen frei, verstärkt sich der treibende Gehalt der Ausatembewegung. Dieser treibende Gehalt steigert sich, wird diese Arbeit mit dem „F“ auch in eine Aufwärtsbewegung der Hände überführt. Im Grunde arbeitet man so nicht mehr an der Raumbildung, sondern  nur noch an der Dynamisierung der Ausatembewegung. Der Einatem fällt reflektorisch ein.

Dem statischen Element in der Ausatembewegung dagegen geht die Raumbildung durch die Einatem- bewegung vorher. Diese kann durch eine aufdehnende Bewegung der Hände vor dem Becken oder auch nur durch die  Ansprache der gehaltenen Hände vor den Leisten unterstützt werden, um in die Begleitung der aufsteigenden Ausatembewegung überzugehen. In dieser Atemphase sind die Hände senkrecht gestellt, um mit einer sich forcierenden Bewegung über den Kopf geführt werden. Die Hände werden quasi über die Fingerkuppen in gerader Linie nach oben gezogen und wackeln nicht hin und her. Letzteres kann gesche- hen, wenn der Atem im Becken zu gestaut ist. Wenn sich die Ausatemkraft nicht als Innenbewegung zu richten vermag, zeigt sich dies an der äußeren Bewegungsführuing.

In kombinierten Arbeitsweise können die dynamischen und treibenden Elemente der Atembewegung integriert werden. Beide dürfen nicht miteinander identifiziert. Das Treibende ist jene Kraft, wegen der überhaupt etwas werden kann und ermöglicht alles Prozesshafte im Lebendigen. Die Aktivierung des Treibenden, nicht im Sinne eines pathologischen Mißverständnisses des Triebhaften, sondern als jenes Moment, das Lebensprozesse ermöglicht und aufrechterhält, kommt aus dem unteren Raum. Dabei ist es entscheidend, wie es in anderen Atemformen Gestalt annimmt.

Das Dynamische steht im Gegensatz zum Statischen. Es begleitet impulshaft Veränderungen und dient der Anpassung nicht nur in der vertikalen Dimension. In der horizontalen reagiert  die dynamische Zwischen- rippenmuskulatur mit Eigenimpulsen auf Einfälle und auf Außenreize. Die Schwunglinie des Legato im Kunstgesangs kann durch dynamische Ein- und Ausatemimpulse während eines den Ton führenden Ausatems gehalten werden

Bei der statisch zu begreifenden Atemgestalt Positionierung soll der Antrieb in der Aufrichtung integriert werden. Dabei berührten wir in den einzelnen Arbeitsweisen immer wieder Übergänge zum Dynamischen. Die dynamischen Impulse in den Füßen und im Beckenboden haben eine vitale Bindung. Die dynamische Weise der Atembewegungkönnte schließlich  auch in einen wirklichen Gestaltwechsel einmünden. Dies geschieht dann, wenn im Übergang der Aufrichtung im Sitzen in die Aufrichtung im Stehen das Beharren und Werden prozesshaft vereinigt wird. Hierzu gilt es hier ein Beispiel zu besichtigen, wie selbst einfachste Arbeiten nach der middendorfschen Atemlehre einen mehrdimensionalen Sinn bergen, der im fortgeschrittenen Üben ausgeschöpft werden kann.

So kann diese schlichte Arbeitsanlage zur Atemgestalt Positionierung jene Dimension des Atmens be- rühren zu lassen, in der sich letztendlich das eigene unbekannte Innere meldet und das Eigene im Verhältnis zum Fremden reifen lässt. Dies kann von alleine sich bilden, wenn die Aufrichtung über das Aufstehen zu vollendet wird. Im Aufgestanden- sein kann Öffnung nach vorne entstehen, wodurch sich das Nabelfeld oder der Vordergrund ausfalten. Es kann sich höchste personale Integration einstellen, durch die wir dem Fremden begegnen können, weil das Eigene durch das unbekannte Innere gespeist wird,. Dies verlangt nicht nur die gesamte geöffnete Vorderseite, durch die wir uns zeigen und durch die wir uns überschreiten, sondern auch ein sattes In-sich-ruhen, das in die Gravitation eingelassen ist.

So gesehen wird verständlich, weshalb jede fortgeschrittene Middendorfarbeit ins Stehen kommt. Erst im Stehen finden die Strukturgesetzlichkeiten, welche sich in der Vollatembewegung entfalten, ihre vollendete Form als Atemgestalt. Wir wissen bereits um die Formlosigkeit der Atembewegung im Liegen. Das Stehen muss sich auf nur einer Berührungsebene in die Gravitation einfügen. Das Sitzen verteilt die Begegnung mit der Schwerkraft auf die Füße und den Hocker. Das Aufstehen hat sich aus der einen zu entlassen, um sich ganz der anderen anzuvertrauen .

Zur Vorbereitung des Aufstehens beugt man sich in einer Hin- und Herbewegung zunächst mit dem Oberkörper nach vorne, wodurch sich die Atembewegung in der Vitalverankerung des Beckenbodens einpendelt. Im Nachvorne entsteht ein Ein- und im Zurückschwingen in die sitzende Aufrichtung ein Ausatem. Die Bewegung wird in die Atembewegung eingelegt bis man sich allein dem treibenden Impuls zum Aufstehen überlässt. Man beschließt auch hier nicht mit dem Willen, sondern folgt dem leiblichen Impuls zum Aufstehen.

Beim Aufstehen zieht man sich nicht mit den Schulter hoch. Vielmehr ist ein Transsensus zum Boden aufzubauen, wodurch eine Spannung der Füße gegen den Boden entsteht. Indem diese der Schwerkraft widerstehen, wird ein anstrengungsloses Aufrichten mit dem aufsteigenden Ausatem möglich.

 

Positionierung und Zentrierung
Das Aufgerichtetsein ist als elementare anthropologische Funktion in allen vertikal gerichteten Ausatem- bewegungen eingeschlossen. Sie wird deshalb in allerlei Varianten beim Aufbau anderer Atemgestalten mitgeübt. Ist eine gewisse Raumweite vorhanden, kann in der Entwicklung der Atemgestalt Positionierung der Auftakt zu einer personalen Kraftentwicklung einsetzen. Die bloße Ausdehnung im Einatem leistet dies noch nicht.

Die höchste Form der Ausatemrichtung in der Aufrichtung zeigt sich dann wieder im Umschlag zur Raum- bildung: Von selbst zentrieren sich die Atemräume, was als ein Verdichtungsempfinden in der Ausatem- bewegung erlebt werden kann - hin in den Mittelpunkt dieser zunächst durch die Einatembewegung ausgedehnten Räume.  Raumzentrierungen können sich im Beckenboden als Dammzentrum oder Basis-Chakra und im Becken als Wurzel- und Harzentrum bilden. Melden können sich bei der selbsttätigen Atementwicklung das Mittenzentrum im mittleren Atemraum sowie das Herz- und Kehlkopfzentrum.

Für den Umschlag der einfachen Positionierung durch aufsteigenden Ausatem in die den Ausatem ver- dichtende Zentrenbildung ist eine fortgeschrittene Durchgeklärtheit und gewisse Ausgeglichenheit der Atemräume zueinander erforderlich. Ein überblähter Unterleib lässt sich ebenso wenig zentrieren wie ein aufgeblasener Schultergürtel. Gelingt eine Zentrenarbeit, können sich als eindeutig wahrnehmbare Empfindungen unwillkürliche aufsteigende, horizontale und absteigenden Atembewegungen selbsttätig ausbilden. Mit der Zentrenbildung, die ebenfalls durch eigenständige Arbeit erschlossen werden kann, kommt die Verlebendigung und Durchklärung der Atemräume zu einem gewissen Abschluss und öffnet das Tor zu einer höchst individuellen Gestaltung durch Atemerfahrungen.

Zentriertsein lernten wir bereits als eine phasentonische Organisiertheit im Raum kennen, die mit dem Aufmerken verbunden ist. Während die entscheidenden Muskelstränge des lagetonischen Aufgerichtetseins an der Vorderseite verlaufen, sind die für das Zentriertsein Entscheidenden, seitlicher angelegt. Das Umschauen ist darin präferiert. Zentriertsein bedeutet die Spur auf dem eigenen Weg halten zu können, sich vom Äußeren anregen zu lassen und auch auf dieses reagieren zu können, aber sich nicht vom Äußeren ablenken zu lassen.

Die Atemgestalt Positionierung entwickelt wie die Atemgestalt Zentrierung das menschliche Verhalten in der Form der Abständigkeit und nicht in der verbindenen Räumlichkeit. Verbindene Räumlichkeit entsteht mit der Arbeit an den Atemgestalten Vordergrund und Hintergrund sowie Atemmitte zwischen Innen- und Außenraum. Das klare Ja kann aus der verbindenden Räumlichkeit und das deutliche Nein aus der Zentrie- rung in der Atemgestalt Ichkraft hervorgehen. Auch die Atemgestalt Haltung birgt im Mitsein beide Dimensionen, die unterscheidend und die verbindende. Die Atemgestalt Nabelfeld wiederum ist der untergründiger Regulator von Nähe und Distanz zum anderen.

Jede Gestaltform der Atembewegung verweist uns darauf, wie eine Person durch ihre leibliche Ausdrucks- gestalt hindurch in einer Situation da ist. Soziale Situationen werden durch einen ständigen Gestaltwechsel durchlebt. Die Person wird bei dem Zerfall einer Atemgestalt gehemmt, bei deren  Aufbau gelassen und bei deren Überdehnung ausgelassen erscheinen. Die Atemgestalt Positionierung im Raum ist die Grundlage dafür, dass sich der Mensch als zentriertes Ich, das den Körper führt und durch ihn hindurch handelt, im vital-sensorischen Bewegungsraum zu behaupten vermag. Positionierung ist eine einfache Form des Daseins, zu der die transsensische Ausdehnung im Raum gehört. Man ist zu etwas in der Lage.  Positionierung und Ausdehnung sind der allgemeine Grund der “exzentrischen Positionierung” (Helmuth Plessner).

 

Jenseits der dualistischen Trennungen
Doch es ist die Person, welche das leibliche Sein mit dem körperlichen Haben verschränkt. Ohne diese Verschränkung gibt es keinerlei Erschließen der Welt Dass die Leiblichkeit kein Anliegen des Ichs ist und diese nur beinflusst und gewandelt werden kann, macht uns das Übungsarrangement der middendorfschen Erfahrungspraxis so deutlich aufmerksam. Die Atembewegung kommt nur in ihren wandelnden Fluss, wenn sich kein Ich mehr dem Leib entgegenstellen kann. Erst so zeigt sich die Atembewegung als der eigentliche Träger der erlebnishaften Dimension des menschlichen Verhaltens. Dieses ist qualitativ, personenabhängig und vor aller Kognition sinnhaft. Es gibt uns Auskunft, wie wir etwas und nicht was wir sehen, hören, tun und schmecken.

Als Träger des Erlebens bindet sich die Atembewegung an die nervale-hormonelle Organisiertheit  des menschlichen Lebens und verweist uns auf Lösungsmöglichkeiten der bewusstseinstheoretisch einzu- lösenden Frage, wie neurophysiologische  Daten zum Erleben werden können. Auch auf die zweite ungelöste Frage der Bewusstseinsforrschung, wie nun der Schnitt zwischen leiblicher Empfindung und Wahrnehmung des Ichs anzulegen ist, kann im Atemstoff angegangen werden. In der Atemgestalt als der strukturgesetzlichen Formung des Lebendigen, die vor der geläufigen Trennung von Objekt und Subjekt und dem Dualismus von Körper und Seele liegt.

Der middendorfsche Erfahrbare Atem macht uns nachdrücklich darauf aufmerksam, dass das sich Verhalten subjektiv zeigt und nicht labormäßig herstellbar ist, weil es breits vor der Trennung von Objektivem und Subjektivem in der Einheitsschicht Atmbewegung angelegt ist. Doch es geht bei der middendorfschen Atmarbeit auch nicht um Einfühlung, um dem Gesamt des Subjektiven im verstehenden Deuten gerecht zu werden, Die middendorfsche Erfahrung interessiert nicht die durch das Ich nur zu führende Situa- tion, in welcher die emotionale Bedeutungen in unterschiedlichen Zuständen befragt werden können.Sie ist eine Stufe tiefer angelegt: Die personale Mitte im  verschränken Innnen-Außenraum soll gefunden werden. Aus dieser Praxissicht bleibt alles rekurrieren auf naturwissenschaftlich erkennbare Körpergesetze, das empirisch-statistische Erfassen von Leiberscheinungen der eigentlichen Qualität des menschlichen Daseins äußerlich.

Das Atmen in der middendorfschen Empfindungsprägnanz macht uns nicht zuletzt zwingend darauf auf- merksam, dass das lebendige Verhalten keineswegs eine beliebige Erscheinung darstellt, die dem Orga- nismus gleichgültig ist. Der durch die middendorfschen Übungsweisen erschlossene Atemgrund verweist uns endgültig darauf, dass sich im Verhalten die Selbstbewegung von etwas ausdrückt, das sich als Ganz- heit organisiert

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[Westliche Atemlehren] [Atembehandlung] [Bewegungsarbeit] [Arbeit mit dem Laut]